HIGH HEEL PUGLIA
Von Oktober bis April bedarf es allerdings akribischer Planung, um offene Unterkünfte, Restaurants und mehr auf der Reiseroute zu finden. Die gute Nachricht für Wohnmobil-Reisende: Gemäß italienischem Gesetz (Zusatz vom Januar 2008) sind Wohnmobile wie PKWs zu behandeln. Man kann also damit auf öffentlichen Parkplätzen übernachten. Freilich ist dabei von allzu häuslichem Niederlassen, mit Kochorgien vor dem Wohnmobil, Anbringen von Hängematten an umliegenden Bäumen sowie Action aller Art eher abzuraten…
Wer keinen fahrbaren Untersatz hat ist allerdings ziemlich aufgeschmissen weil es um öffentliche Verkehrsmittel nicht nur in der Nachsaison schlecht bestellt ist.
Italienischer Stiefelabsatz mit Profil
von Rena Sutor
Bei mobilen Italienfans ist Apulien beliebt seit ich denken kann. Den Gargano haben wir bereits in den 80er Jahren mit VW-Bus und Baby bereist. Von München bis zur Absatzsohle, ganz unten im Salento sind es knapp 1500 km und Campingplätze in Traumlagen, gute Hotels und Pensionen gab es entlang der adriatischen und ionischen Küste schon damals. Dass fast alles Ende September dicht macht hat sich auch 30 Jahre später nicht sehr geändert, was bei rund 300 Sonnentagen im Jahr und fast frostfreien Wintern verwunderlich ist. Seit EU-Mittel den Ausbau der Infrastruktur fördern, kommt der Fremdenverkehr als wichtige Einnahmequelle zunehmend in Fahrt. Der beste Moment, in diesen wunderbaren italienischen Stiefel zu schlüpfen ist in der Nachsaison, wenn er leer ist. Die einzelnen Attraktionen sind von jedem Stützpunkt aus gut erreichbar weil Apulien motorisiert in 5-6 Stunden einmal längs durchfahrbar ist. (San Nicandro Garganico (hoher Norden) bis Santa Maria di Leuca (tiefer Süden) 440 km der direkte Weg. Noch schöner: über Peschici 500 km.)
Auf vielen Felskuppen thronen malerische Orte: Vieste, Ostuni, Polignano, Peschici… Mich wundert sehr, dass sie nicht längst partiell ins Meer gepurzelt sind. Mit Steinen übersät ist auch die dunkle, wasserdurchlässige Erde. Diese Bodenbeschaffenheit führt zu einer überirdisch schönen Unterwelt, in der sich sogar Restaurants (oben li – Polignano) und Kirchen etabliert haben. Die Castellana-Grotten, die atemberaubendsten von ganz Apulien (und vermutlich weit darüber hinaus) befinden sich 15 km von Polignano und Monopoli bzw. 50 km von Bari entfernt. In 70 m Tiefe kann man sich bei 14-18° auf einer leicht begehbaren Route ein bis zwei Stunden staunend fortbewegen. Die Höhlen sind ganzjährig zugänglich und mit mehrsprachige Führungen zu begehen. Zu Panik in geschlossenen Räumen bei hoher Luftfeuchtigkeit (90%) sollte man nicht neigen. Andererseits ist diese Wunderwelt so faszinierend, dass psychische Nebenschauplätze möglicherweise in Vergessenheit geraten…
Küste, Karst und keine Seen
Mit circa 7-800 km Küste (hier schwanken die Angaben und abgemessen habe ich sie nicht) hat Apulien mehr kostbares Strandgut als alle anderen Regionen Italiens. Circa 90 % der Strände tragen die blaue Bade-Flagge. Wasserratten aller Art erwartet eine reichhaltige Angebotspalette. Andrerseits beschert das „Land aus Stein“ Kletterfreaks inklusive Freeclimbern ideale Voraussetzungen: sowohl auf den Höhen des Gargano als auch in den Tiefen von Karstschluchten: Allein nördlich von Tarent sind über 100 Kletterrouten ausgewiesen. Stein in vielen Variationen ist fester Bestandteil des Landschaftsbilds. Vom Meer aus betrachtet sind schroff abfallende, poröse Felsen mit teils riesigen Grotten besonders spektakulär: Sedimentgestein, weiße Kalksteinschichten unterbrochen von Feuersteinadern. Diese Gesteinsart birgt archäologische Schätze in sich, deren bisherige Ausbeute im Archäologischen Museum von Tarent zu besichtigen ist. Bringen Sie aber ruhig ihr Hämmerchen mit. Wer weiß, was da noch alles im Verborgenen schlummert!
„Der Weg ist das Ziel“ – auch der Radweg
Auch Radfahrer mit unterschiedlichster Konditionierung dürften am durchforsten der flachsten Region Italiens Freude haben: Von der Region Foggia im Norden über BAT, Bari, Taranto und Brindisi bis Lecce im Süden. (1,5 % Gebirge, 45,3 % Hügelland, 53,3 % Ebenen). Ein Radtour-Vorschlag ist zum Beispiel: Puglia in bicicletta – 404 km 5 giorni di pedalate (Apulien mit dem Fahrrad, 404 km in 5 Tagen). Über das offizielle Portal der Region kann man sich kostenfrei den Führer des Verlags Lonely Planet herunterladen.
Durststrecken durch karge Landstriche kann man locker mit köstlichem Proviant aufpeppen aus Supermärkten größerer Städte oder Spezialitätenläden in Touristen-Hot-Spots (wie rechts im Bild in Alberobello). Auch bei Ökobauern und kleinen Käsereien oder Märkten am Wegesrand findet man die feinsten Sachen. Mir läuft gleich wieder das Wasser im Mund zusammen wenn ich an diverse Salamis denke oder Schinken auf Meersalzbrot aus Altamura mit köstlichen Tomaten, Oliven, Kapern etc. und dazu den guten Roten Primitivo di Manduria… Halleluja!
Gäste, Gott und Gutes Essen
Gastfreundschaft und gemeinsam gut Essen hat Tradition in Apulien. Deshalb ist hohe Qualität bei Lebensmitteln nicht nur Ehrensache sondern auch Selbstzweck von dem der Gast sehr profitiert. Aktuell sind 264 „ausgezeichnete“ regionale Produkte auf dem Markt. Landwirtschaft ist die bedeutendste Einnahmequelle der südlichsten Region Italiens – neben dem wachsenden Tourismus. Noch ist Apulien authentisch, unverbraucht und natürlich. Es punktet neben ausgezeichneten Lebensmitteln auch mit der grünsten und saubersten Energieversorgung von ganz Italien.
Man muss schon richtig Pech haben wenn mal eine verpatzte Mahlzeit auf den Tisch kommt – egal ob in billigen oder teuren Lokalen. Die Lebenshaltungskosten sind vergleichbar mit den deutschen. Obst und Gemüse ist günstiger, Fisch trotz der beachtlichen Küstenlänge ziemlich teuer. Die Tasse Caffè kostet nur 90 Cent. Aber so gesund, dass man die unantastbare Wohlfühlbrühe als Lebensmittel betrachten könnte, ist sie nun wirklich nicht. Aber wie immer macht die Menge den Unterschied: während man in Italien nach dem Essen einen Genuss-Espresso trinkt, gibt man sich hierorts teilweise den ganzen Tag lang Koffeinspritzen…
UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten
machen sich immer gut auf Visitenkarten. Apulien hat drei davon. Die mystische Langobarden-Wallfahrtskirche von Monte Sant’Angelo (Loggia), das zu Zeiten Friedrichs II. erbaute Castel del Monte (Terra die Bari/ziert eine Euromünze) und die Trulli von Alberobello, die ich am originellsten finde Trulli, runde Häuschen, ohne Bindemittel aus handbearbeiteten Steinblöcken erbaut und mit weißem Kalk verputzt und mit ebenso kunstvoll aufgeschichteten Dächern aus grauen Kalksteinplatten gekrönt: eine Augenweide! Tausende Trulli sind noch erhalten, die meisten in Alberobello dessen historischer Kern zum Nationaldenkmal und 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.
Rechts die Chefin der Bottega dei Fischietti, wo Tausende (teilweise preisgekrönte) „Pfeifen“ – gestaltet von unterschiedlichen Künstlern – zum Verkauf stehen. Eine davon ist bezeichnenderweise Berlusconi – links im Bild. Das Kunstwerk wurde 2012 preisgekrönt. Das Pfeiferl ist hinten angebracht. Damit kann jeder diesem Ausnahmepolitiker eins pfeifen, wenn ihm danach ist… Giangirolamo II. Acquaviva, als Graf von Conversano Feudalherr der Gegend soll sich durch die mobile Truli-Bauweise im 17. Jh. gewisse Steuervorteile gegenüber dem Königreich Neapel verschafft haben. Für die Nachwelt hat er jedenfalls eine bildschöne Architektur hinterlassen. Wie bei vielem was rar und reizvoll ist findet auch bei den Trulli ein Ausverkauf statt. Die gute Nachricht: Viele Trulli sind inzwischen zu attraktiven Ferienbehausungen ausgebaut die man teilweise noch recht preisgünstig mieten kann.
Leckere Orecchiette als Nach- und Vorgeschmack
Nach einwöchiger Apulien-Schnupperreise sitze ich bei diesigem Oktoberwetter wieder daheim in München vor meinem PC und einer letzten Portion Orecchiette. Ich spieße jedes Teigöhrchen aus Hartweizengries einzeln auf und denke genüsslich schmatzend an die fingerfertigen Frauen zurück, denen ich noch vor ein paar Tagen, bei satten 28 Grad in Apuliens Hauptstadt Bari auf die Finger geschaut habe. (Foto) Natürlich habe ich eine Portion davon gekauft. Nicht nur weil mich schon die Verkostung im Rohzustand überzeugt hat, sondern auch weil ich das als fotografierender Zaungast der Hausherrin gegenüber schuldig bin.
In meinem persönlichen Orecchiette-Mahl lasse ich mir Puglia noch einmal so richtig auf der Zunge zergehen. Nicht ohne nebenbei Erinnerungsstücke niederzuschreiben, auch wenn es die Konzentration halbiert… Mitgebrachter Mozzarella ist ebenfalls untergerührt sowie die unvergleichliche Artischocken-Auberginen-Kapern-Peperoni-Tomaten-Mischung von Ökobauer Giuseppe, der seine Kostbarkeiten am Wegesrand im Gargano verkauf hat. Der letzte Bissen ist noch nicht geschluckt, da keimt schon der Wunsch nach Wiederholung auf. Aber erst lasse ich alles noch einmal Revue passieren. Kommen Sie mit…
Eine Woche Apulien im Oktober
Wir sind im eigenen Bus unterwegs und übernachten in ausgewählten Hotels. Ich habe das grünblaue Meer im Visier und Literatur mit Lokalkolorit im Ohr: Aller Anfang ist Apulien von Kirsten Wulf. Leichte Kost für daheim und unterwegs (Buch: KiWi 8.99 €, Hörbuch: Random House 14,99 €). Es geht in der schön präsentierten Handlung um Trennung vom deutschen Ehemann, Flucht nach Lecce im Salento, tiefe Verstrickungen in alten Gehirn- und Gassenwindungen, um eine neue Liebe und auch um eine Liebeserklärung an Apulien und den Reiz der Unvollkommenheit. Seitenhiebe auf die gut integrierte Maffia, der u.a. Handel mit afrikanischen Frauen nachgesagt wird, fehlt auch nicht. (Die Sacra Corona Unita mit Kerngebiet im Salento hat laut Eurispes 47 Clans mit insgesamt 1561 Mitgliedern).
Im 5-Sterne-Beach Resort Baia die Faraglione (Nov.-April geschlossen) im Gargano empfängt uns der Verkaufsmanager Paolo Attolino. Die aus unterschiedlich großen Wohnelementen bestehende Anlage ist eingebettet in einen zum Meer hin abfallenden Park mit Lift vom Pool zum hoteleigenen Strand. Zitronen, Auberginen, Oleander, Oliven- und Nadelbäume – alles wächst üppig in dem edlen Ausgangspunkt für Wander- Bade- und andere Vergnügungen im Gargano-Nationalpark und darüber hinaus, wovon wir reichlich profitieren.
Bootfahren und Bergbuchteln
Unterwegs entlang den Küsten sieht man noch oft Trabucci, die wie alte Fischerei-Denkmäler pittoresk an felsigen Klippen kleben. Heute sind sie oft in Verbindung mit Freiluft-Restaurants anzutreffen. Zum Beispiel das Trabucco da Mimi in Peschici wohin wir am späten Nachmittag aufbrechen. Unser nicht ganz ortskundiger Busfahrer findet es erst nach stundenlanger Suche weil die Beschilderung eher mäßig ist. Francesca, die uns ausgesprochen kompetent und immer fröhlich auf dieser Tour (in perfektem Englisch) begleitet hat Mühe, die Stimmung bei der hungrigen Meute im Bus auf einem verträglichen Level zu halten. Als es beim Aussteigen in der Dunkelheit heißt: „die letzten 250 m zum Restaurant Fußmarsch über den rissigen Asphalt einer stark abfallenden Straße ohne Beleuchtung“, sinkt so manche verwöhnte Laune auf Null. Die Laune aller hebt sich aber sofort wieder beim Anblick der malerischen Location und der köstlichen Antipasti, zu denen Mitglieder des Familienbetriebs deutsche Erklärungen abgeben. Urgestein Opa Domenico Ottaviano schwärmt von den guten alten Zeiten, dass er als jüngstes von 12 Kindern das Restaurant geerbt und stets erfolgreich mit der Familie betrieben hat. Dabei wird sein Gesicht so jung, dass man dahinter den knackigen Burschen von einst zu erkennen glaubt. Davon geben auch die fleißig mitarbeitenden Enkel Vincenzo und Domenico (Foto) lebendiges Zeugnis ab. Nach einem opulenten Mal – das nur aus Fischgängen besteht, torkeln alle fröhlich und aufgekratzt zum Bus zurück – aufwärts, auf der rissigen Straße – ohne Murren…
Der höchste Berg im Gargano-Nationalpark ist mit 1065 m der Monte Calvo, den besteigen wir nicht. Wir wandern von Bucht zu Bucht, was bedeutet, dass man jeweils beachtliche Anhöhen zwischen zwei Buchten überwinden muss. Mein aus der Begeisterung für dieses Naturerlebnis mit Adriablick und feiner Brotzeit geborenes Wort ist Bergbuchteln. Fürs Auge bietet der Nationalpark außerdem zur richtigen Jahreszeit eine reiche Flora: 70-80 Orchideenarten soll es hier geben. Und überall verstreut liegen endlos viele faust- bis kopfgroße, helle Steine. Für den Magen bietet diese Apennin-Gegend den Spezialkäse Caciocavallo Podolico von großhufigen Podoliche-Kühen.
Nach zwei Nächten und diversen Unternehmungen: Ausflüge nach Vieste und Peschici, auf die Tremiti-Inseln, eine Katamarin-Bootstour mit Grotten-Besuchen… verlassen wir die zauberhafte Anlage Baia dei Faraglione. Wir werden noch von der Führungsriege verabschiedet, die gleichzeitig nach Turin aufbricht, wo Allegro Italia soeben das Luxushotel Golden Palace eröffnet. Die Herren repräsentieren ihre Gesellschaft im wahrsten Wortsinn: Allegro Italia heißt nämlich „Heiteres Italien“ und das Management ist echt gut drauf (Foto vlnr): Fabio Vigitello (Direttore Generale) hat auf seiner Visitenkarte eine Sprechblase mit dem Wortspiel: Dir&Attore = (Direktor und Schauspieler); Piergiorgio Mangialardi (Presidente) dessen Familienname übersetzt Schmalzesser heißt, hat die Sprechblase: Ich esse Hotels aber ich habe Verdauungsstörungen… Salvatore Fiorenza (Hoteldirektor Baia dei Faraglione) und Paolo Attolino (Verkaufsmanager) haben auch immer ein Späßchen auf den Lippen… Echt originell!
Vom Gargano bis Bari
Links unter uns grünblaue Adria (die hier ihre tiefste Stelle haben soll), rechts oben pittoreske Felswände und über allem tiefblauer Himmel. Der Weg nach Süden führt durch das Naturschutzgebiet La Salina di Margherita di Savoia. Die Saline zählt zu den größten Europas, was gigantische Salzberge ahnen lassen. In den endlosen Salinebecken spazieren Flamingos auf roten Sohlen herum während Möwen von Begrenzungszäunen aus zuschauen. Beim Übergang ins kargere Flachland der Tavoliere wird das Licht gleißender. Die größte Karsthochebene Italiens ist die produktivste Agrikultur-Area Apuliens und Kornkammer Italiens. Früher durften Arme von der Sonne verbrannte Weizenkörner für den Eigenbedarf vom Acker sammeln. Aus dem daraus gewonnenen Mehl entstand eine braune Pasta. Wie so oft wurde aus einem Armeleute-Essen ein Mode-Fresschen: Heute wird Weizen extra geröstet (grano arso) und gehört zu den Luxuslebensmitteln. In der Kalkhochebene der Murge, die einen Großteil der Provinz Bari einnimmt, werden auch die angeblich besten Tomaten der Welt abgebaut: die San Marzano-Tomaten. Zu apulischen Familientraditionen zählt, sich im Sommer bei den Großeltern zu treffen und gemeinsam den Tomatensoßebedarf für das ganze Jahr zu produzieren.
Bisceglie (in BAT Barletta, Andria, Trani) lassen wir links liegen, auch das propere Molfetta Outlet 30 km vor Bari, wo eine Riesenauswahl an Fressalien, Schuhen, Essen, Taschen, Kosmetik, Klamotten auf ein solventes und kaufwilliges Publikum wartet. Ein paar Kilometer entfernt befindet sich Bitonto (König der Olivenölproduktion) mit historischem Zentrum und der Kathedrale San Valentino die zu den schönsten romanischen Kirchenbauten Apuliens zählt. Wir durchfahren Olivenhaine, die sich bis zum Horizont erstrecken: mehr als 50 Millionen Olivenbäume teils biblischen Alters soll es in Apulien geben. Dazwischen auch mal Feigenbäume und Kakteen deren Früchte (ebenfalls Feigen) mit Vorsicht zu genießen sind. Am besten mit Lederhandschuhen anpacken, weil die filigranen Dornen auf Nimmerwiedersehen aber auf Langewiederspüren in den Fingern verschwinden. Wir nähern uns Bari über die neue Nationalstraße die in den Stadtring übergeht.
BARI – Apuliens schöne Hauptstadt
Die Universitäts- und Hafenstadt Bari mit trutziger Festung und historischem Zentrum erkundet man am besten auf dem Fahrrad. Wenn Kreuzfahrtschiffe anlegen empfiehlt es sich, aus der Stadt zu fliehen und vielleicht den Hafen zu besuchen. Wir logieren hinter den Prachtmauern des Hotel Oriente direkt neben dem legendären roten Teatro Petruzzelli. Da wohnt es sich recht angenehm: nur ein paar Schritte vom alten Stadtkern entfernt und gleichzeitig an der Einkaufsstraße Corso Cavour. Im Zentrum werden Fahrräder ausgeliehen und los geht’s – nicht ohne zuvor noch eine große Portion Eis zu verspeisen: die Gelati sind göttlich. Beginnend bei den Ausgrabungen am Marktplatz, vorbei an beeindruckenden Kirchen wie San Sabino und Basilica di San Nicola. In der Krypta von San Nicola (Foto) fallen mir nicht nur 26 unterschiedliche Säulen auf sondern vor allem eine fromme Pilgergruppe, die sich durch leidenschaftliches Singen um das Wohlwollen der Muttergottes bemüht. Überall in Apulien fällt auf, dass den Menschen Religion sehr wichtig ist – in welcher Ausprägung auch immer. Um den Schutzheiligen Nikolaus, der jährlich mit einer ganzen Festwoche geehrt wird, rankt sich so manche Legende. Im Schrein mit seinen Überresten sammelt sich Flüssigkeit ungeklärter Herkunft, was zu Spekulationen Anlass gibt. Die Flüssigkeit wird mit Wasser verdünnt und als „Manna“ verkauft und soll gegen viele Zipperlein gut sein. Ich hab’s nicht ausprobiert.
Unweigerlich, da nicht zu übersehen, erreicht man das mächtige Kastell. Direkt gegenüber von dessen Haupteingang produzieren ganze weibliche Familienzweige von der Oma bis zur Enkelin in flinker Handarbeit die köstliche Pasta Orecchiette, die Symbol und Spezialität von Bari ist.
Das Abendessen genießen wir mit allen Sinnen im kleinen aber feinen Ristorante Biancofiore am Corso Vittorio Emanuele II. Nicht nur das Essen ist hier einen Besuch wer – auch die Fröhlichkeit des Personals tut gut.
Unterwegs von Bari nach Lecce
In Poligniano a Mare ist Gelatto-Stopp angesagt. Pittoresk liegt der kleine Stadtstrand zwischen zwei Felsgiganten (Foto weiter oben) und zieht sich unter eine hohe Brücke hinein. Ältere erinnern sich vielleicht noch an italienische Schmachtfetzen wie: Volare, oho… und an Ciao, Ciao, Bambina von Domenico Modugno. Mit zum Himmel gereckten, offenen Armen (so stand er 1958 beim Eurovision Song Contest da, als er sich über den 3. Preis für sein Lied Volare freute) begrüßt er nun als riesige Statue am Eingang seines Geburtsorts die Besucher.
Eine halbe Autostunde entfernt liegt die Masseria Il Melograno inmitten eines Märchengartens mit Granatapfel-Bäumen, Oleanderbüschen und vielen anderen üppigen Gewächsen. Diese schöne Anlage aus der Kette Relais & Chateaux wird nun innerhalb eines Jahres generalüberholt. Hoffentlich schadet es der aktuellen Schönheit nicht…
Der nächste Eyecatcher ist Tenuta Monacelle, wo Antonio Ladisa wartet, um uns die luxuriösen und sehr unterschiedlichen Unterkünfte in der weiträumigen Parklandschaft (nebst riesigem Swimmingpool) zu zeigen. Auf dem Terrain ist wieder ein „leichtes Mittagessen“ (das sich jedes Mal als gigantisch erweist) für uns vorbereitet. Es wird inmitten der phantastischen Trulli-Anlage auf dem Gelände serviert, die auch gemietet werden kann. Die Miete für einen Trulli kostet pro Nacht zwischen 130 und 250 €. Der freundliche Ober auf dem Foto rechts serviert eine üppige Käseauswahl in feinster Präsentation.
Eine weitere charmante Ferienanlage auf unserem Weg ist die Masseria Il Frantoio inmitten von Olivenhainen. Hausgemachte Kekse zum Kaffee und ein Blick in den Hofladen wird uns in der gebotenen Eile geboten. Dort sind viele Spezereien im Angebot und außerdem ein Museum mit riesigem Mühlstein und anderen Utensilien, mit denen früher Oliven zu Öl verarbeitet wurden. Nur 7 km entfernt liegt das wunderschöne Ostuni, auch „weiße Stadt“ oder Königin der Olivenbäume genannt.
Zum Aperitif finden wir uns bald am Strand von Capitolo auf der Terrasse mit Pool- und Meerblick des offensichtlich recht beliebten Hotel Canne Bianche ein.
Masseria, Mozzarella, Matrimonio
Masserie, einst staatliche Guts- und Verwaltungshöfe von unattraktiver Schlichtheit stehen heute wie kostbare Solitäre in der Landschaft. Sie sind zu Ferienbauernhöfen, Sterne-Restaurants und Luxushotels mutiert – oft umgeben von üppiger Flora. Ein reizvolles Beispiel dafür ist die 5*-MasseriaTorreCoccaro deren Ausstrahlung auch viel von der Liebe beinhalten könnte, welche die vor Lebendigkeit sprühende Chefin Katja Büllmann für das Land empfindet. So wohl, wie ich mich als Gast dort fühle, fühlt sie sich in ihrer Wahlheimat. „Eigentlich mag ich hier alles lieber“. 2008 war die Schriftstellerin erstmals zu Recherche-Zwecken hier. Seit 1. Oktober 2012 ist sie als Ehefrau von Antonio geblieben. Das Frühjahr findet sie besonders schön und Küstenstraßen per Auto, Motorrad oder Fahrrad zu erobern: „Die schönste Strecke ist die von Otranto bis Santa Maria di Leuca.“ Bari ist ihre Lieblingsstadt: „mit alternativer Kulturszene und tollen Leuten.“ Auch eines ihrer Bücher (derzeit vergriffen): APULIEN, Typen, Träumer, Lebenskünstler. Land und Menschen an einem Rande Europas, zu dem Giovanni Troilo grandiose Fotos geliefert hat, reflektiert mit jeder Zeile und dazwischen die tiefe Zuneigung der Allgäuerin zu Apulien.
Basta! Jetzt wird Pasta gemacht in der Kochschule der Masseria, wo Guiseppe und Donato schon Teig für Panzerotti, Spaghetti und Ravioli präpariert haben. Das gemeinsame Kocherlebnis landet später auf den Tellern der Kursteilnehmer, deshalb strengen sich alle ganz besonders an. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und schmeckt vorzüglich. Soviel Hüftgold muss natürlich wieder abtrainiert werden… Mit Fahrrädern kurven wir durch Olivenhaine, wo im Schatten uralter, knorriger Bäume vielerlei Gemüse wie z.B. Fenchel oder Mangold wächst. Die ältesten Olivenbäume haben circa 1200 Jahre an der Rinde.
In einer kleinen Käserei empfängt uns starker Basilikumduft und eine freundliche Käserfamilie. Genüsslich wiederkäuende Kühe glotzen uns an, während wir der Herstellung diverser Käse beiwohnen dürfen. Für Mozzarella wird zerhackter Käse in 100 Grad heißes Wasser gegeben und die Mischung so lange kräftig umgerührt (eine harte Arbeit, die ein Mann macht) bis alles glatt ist: je länger gerührt umso weicher. Aus den gezogenen Käsesträngen werden Glocken (Fotos) oder Zäpfchen gemacht. Gleichzeitig zaubert ein weibliches Familienmitglied Frischkäse „fresca“ in kleine Körbchen. Später folgt Stracciatella-/“der Zerpflückte“-Produktion. Buratta ist im Kugelinneren mit zerbröckeltem Mozzarella gefüllt. Im kleinen Käseladen verkosten wir nicht nur alles sondern decken uns auch mit Bedarf für daheim ein – fest verschweißt in Folie, damit bei der Einreise keine Beschwerden kommen.
Abgefüllt mit interessanten Eindrücken und Käsesorten peilen wir noch den Beach Club am Privatstrand der MasseriaTorreCoccaro an. Ein großes Plus für die Gäste, die auch mal vom Pool weg und ins Meer wollen. Er schließt Ende November. Und wir fahren mit dem Bus weiter nach Lecce.
LECCE – Überwintern in gemäßigten Zonen
Wer schon immer mal in gemäßigteren Zonen überwintern wollte, sich für Architektur, Kultur, Events und Natur interessiert und zudem gerne ausgezeichnet speist, liegt in Lecce zwischen dem Ionischen und Adriatischen Meer genau richtig. Barockpaläste, antike Ausgrabungen, eine Stadtmauer, mehr als zehn Kirchen und ein uraltes Straßennetz versetzen den Besucher in eine längst vergangene Zeit. Die üppig dekorierte Basilika Santa Croce wird z.Z. außen restauriert. Sie ist aber auch in der Verkleidung sehenswert. Die lebendige Stadt zieht zunehmend Prominente an. Gerard Depardieu hat sich im Stadtkern von Lecce eingekauft und Helen Mirren in der Umgebung.
Zu den „italienischen Momenten im Leben“ zählt für mich: durch uralte Gassen schlendern, in romantischen Höfen Maulaffen feilhalten, auf kleinen Plätzen (möglichst mit Blick auf eine alte Kirche aus der gerade ein Hochzeitspaar schreitet, an Sonntagen in schönen Kirchen in Italien oft der Fall), ortsübliche Desserts zum Caffè vernaschen (im Salento beispielsweise das mit Creme gefüllte Gebäck Pasticciotto di Galatina) und mir immer mal wieder ein köstliches Gelato schlecken. Menschen beobachten gehört mit zum Vergnügen. Tradition ohne Verfallsdatum hat bei süditalienischen Damen aller Gesellschaftsschichten das Erscheinungsbild: l’apparenza. Dreimal wöchentlich Frisörbesuch ist ein Muss: Waschen, Legen, Ratschen. Ein kleiner Luxus zum erhöhen der Lebensqualität… Zu guter Letzt: auf bunten Märkten herumwühlen ist definitiv eine meiner größten Leidenschaften. Selten verlasse ich sie wieder ohne kleine Kostbarkeiten für Kleiderschrank und Küche. Das Leben ist schön.
Ein gedanklicher Abstecher an die Ionische Küste
„Wie von der Tarantel gestochen“ ist eine geläufige Redensart im Deutschsprachigen für plötzlich völlig aufgedreht sein und ähnliches. In Apulien bin ich diesbezüglich hellhörig geworden und der Sinn hat sich für mich erweitert. Wenn von der Taranta Pizzica Salentina die Rede ist verschleiert sich so manche weibliche Miene. Dieser Trance-Tanz hat eine jahrhundertelange Geschichte die mit Krankheit, Berührungsfeindlichkeit. Stolz und geheimnisvollen Riten zu tun hat. Seit kurzem erlebt diese „apulische Angelegenheit“, die ihren Ursprung im Tarent am Ionischen Meer haben soll, ein Revival – vielleicht als eine Art Aufarbeitungsritual? Jedenfalls wirbelt alljährlich im August die Notte della Taranta in Melpignano nicht nur im übertragenen Sinn viel Staub auf. Wenn sich Tausende im Tamburin-Takt wie von der Tarantel gestochen und ohne gegenseitige Berührung in Trance tanzen ist die Luft zum Schneiden dick… (Auf Youtube gibt es viele Beispiele).
Die ionische Seite Apuliens ist auch sehr reizvoll. Von Alberobello aus sind es 45 km bis „Tarent am kleinen Meer“, die Stadt der zwei Meere und der Drehbrücke die Alt- und Neustadt verbindet. Hinunter über die Weinstadt Manduria, Gallipoli bis Santa Maria di Leuca fährt man knapp 150 km über Landstraße. Aber damit ist man dann wirklich an der untersten Spitze angelangt…
P.S.: Gott-sei-dank habe ich mir eine noch bis April 2014 haltbare Slow-Food-Salami mitgenommen: Capocollo von Martina Franca. Bei sparsamer Einteilung hält sie im Kühlschrank vielleicht so lange vor, bis ich wieder die Koffer packe… oder auch nicht!
Information
PUGLIAPROMOZIONE, Agenzia Regionale del Turismo, Ufficio Promozione, Fiera del Levante, PAD. 172, Lungomare Starita – 70123 Bari (Italia), Tel. +39 0805821427 – Fax +39 0805821429 Email, Reisen in Apulien & pugliaevents.it
(li: Fremdenführerin Francesca (Englisch/Italienisch) & Daniela Piroth (Piroth Kommunikation)
Fahrradtouren: Salento Bici Tour
Standortempfehlung für Lecce: Area Servizio Eni San Oronzo: großer, öffentlicher Parkplatz an der Stadtmauer, unweit Porta Napoli/Zentrum. Besser: CamperPark Fuori le Mura, (Via Sant‘Oronzo Fuori le Mura 20). 3,5 km von Lecce-Zentrum: Nachts beleuchteter, ganzjähriger Stellplatz für 30 Mobile. Am besten: La Masseria Gallipoli. 40 km von Lecce, ganzjährig geöffneter 4-Sterne-Campingplatz mit eigenem Sandstrand am Ionischen Meer
Literatur:
6. aktualisierte Neuauflage 2015/2016 Dorling Kindersley
Vis-à-Vis
APULIEN
240 Seiten, 19,99 € (D), 20,60 € (A) mehr als 500 Farbfotografien, 3-D-Zeichnungen & Grundrisse, 217 x 125 mm, Klappenbroschur. ISBN 978-3-7342-0012-0 Leseprobe
25.02.2013 Random House Audio Kirsten Wulf. Gelesen von Stefanie Stappenbeck
ALLER ANFANG IST APULIEN
Hörbuch. Auch als E-Book erhältlich (9,95 € [D] (empf. VK-Preis)). Hörprobe auf der Homepage. ISBN: 978-3-8371-2010-3. Auch als Buch (KiWi). der ganze Text
14.02.2013 KiWi Kirsten Wulf
ALLER ANFANG IST APULIEN
Roman. 320 S., 8.99 € (D), 9,30 € (A), 13,10 € sFr. 12,5 x 19, Taschenbuch. 978-3-462-044997-3 (auch als Hörbuch: Randomhouse Audio) der ganze Text
Aller Anfang ist Apulien, Kirsten Wulf. (Buch: KiWi 8.99 €, Hörbuch: Random House 14,99 €) siehe auch
Mit dem Wohnmobil nach Süditalien. Teil 1 Der Osten, Schulz/Roth-Schulz (WoMoVerlag 2014, 19,90€)
Vendola, Es gibt ein besseres Italien, 2011 Kunstmann Verlag
Geographie Wikimedia (Autor Vonvikken)
53,3 % Ebene, 45,3 % Hügelland, 1,5 % Gebirge.
1) Gargano mit den vorgelagerten Tremiti-Inseln
2) Ebene Tavoliere delle Puglie
3) anschließend Ebene Terra di Bari
4) Kolkhochebene der Murge (Alberobello, Ostuni)
5) Küstenebene von Tarent
6) Valle d’Itria = oberstes Ende der Halbinse Salento. (ca. 50 km lang von Putignano bis Ostuni)
Siehe auch: Territori Pugliesi
Entfernungen
von San Nicandro Garganico (hoher Norden) bis Santa Maria di Leuca (tiefer Süden) 440 km der direkte Weg. Noch schöner: über Peschici 500 km.
Mattinata 150 km > Bari
Mattinata 61 km > Nationalpark La Salina di Margherita di Savoia, 36 km > Bisceglie (BAT), 10 km > Molfetta Outlet (BAT), 29 km > Bari, 38 km > Polignano a Mare, 25 km > Masseria Il Melograno, 10 km > Macchia di Monte, 10 km > Tenuta Monacelle, 27 km > Masseria Il Frantoio, 7 km > Ostuni, 12 km > Strand von Capitolo, 10 km > Masseria Torre Coccaro, 24 km > Alberobello, 113 km > Lecce.
Alberobello 45 km > Tarent (am Mare Piccolo) Stadt der 2 Meere und der Drehbrücke, die Alt- und Neustadt verbindet,
Tarent 70 km > quer durchs Land nach Brindisi, 39 km > Lecce.
Tarent 142 km Landstraße > auf der Ionischen Küstenseite entlang: Manduria, Gallipoli, Santa Maria di Leuca