Oktober-Märchen: Heideröslein

Oktober-Märchen: Heideröslein

Marcel und Eric Schäffler

Heideröslein

Zu der Zeit, als noch die Ritter lebten, stand eine stolze Burg auf einer waldigen Anhöhe. Unter ihr breitete sich weithin die grüne Heide aus. Die Burg bewohnte ein Ritter mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen und vielen Knechten und Mägden. Die waren ihm alle treu ergeben, denn er war ein edler Herr.
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Sein bester Knecht aber war Heinrich. Er wohnte nicht mit in der Burg, sondern unweit davon mit seiner Frau Maren in einer kleinen Hütte. Maren war sehr traurig darüber, daß sie kein Kind ihr eigen nannte, denn sie war viel allein. Da brachte ihr Heinrich eines Tages von einem Ritt über die Heide ein weinendes Bündlein mit. Das hatte er unter einem Heiderosenstrauch gefunden. In dem Bündlein aber lag ein feingliedriges Mägdelein. Es war bekleidet mit einem Hemdlein von allerfeinstem Linnen. Den goldigen Flaum des Köpfchens bedeckte ein gesticktes Mützlein und um den Hals war ihm eine goldene Kette gelegt, die hatte keinen Anfang und kein Ende. Maren zerbrach sich den Kopf, wie wohl dieses feine Kindlein in die einsame Heide gekommen sei. Aber sie nahm es liebevoll an ihr Herz und zog es auf, als wenn es ihr eigen wäre. Weil es ihr Mann unter einem Heiderosenstrauch gefunden hatte, nannten sie es Heideröslein.
Als das Mägdelein herangewachsen war, konnte es keinen schöneren Namen haben. Es hatte ein Gesichtlein so rosig und hold wie eine eben erblühte Heiderose. Blaue, strahlende Augen schauten aus ihm heraus und zwei Flechten, welche die Farbe reifer Ähren hatten, hingen ihm über die Schultern herab. Heideröslein half der Mutter überall, und diese lehrte sie spinnen und nähen. Am liebsten aber war es ihr, wenn sie der Vater mit hinaus nahm auf die Heide, dorthin, wo die Rosse des Ritters aufwuchsen. Da tollte sie mit den Fohlen, oder sie kletterte auf die größeren Pferde, und es dauerte nicht lange, da konnte sie mit dem Vater um die Wette reiten. Glückselig, aber mit gelösten Flechten, kam sie dann heim. Da schalt die Mutter manchmal und sagte, sie wäre eben doch ein wildes Heideröslein.
So vergingen die Kinderjahre. Diesen kaum entwachsen, mußte sie ihren ersten großen Schmerz erleben. Die Mutter wurde sehr krank und als sie fühlte, daß sie sterben mußte, rief sie Heideröslein an ihr Lager. Sie ließ sich von ihr aus der Truhe ein Bündlein geben. Es war das Linnenhemdchen und das gestickte Mützlein. Das gab sie dem Röslein und sagte, daß sie nicht ihre Mutter und Heinrich nicht ihr Vater wäre. „Vielleicht findest du im Leben doch noch einmal deine richtige Mutter“, sagte sie, „denn ich werde von dir gehen müssen.“ Da weinte Heideröslein bitterlich, sie umschlang die Mutter und schluchzte: „Ich will keine andere Mutter haben, du sollst bei mir bleiben.“ Die Worte taten der Kranken wohl, aber den Tod konnten sie nicht aufhalten, und ein paar Tage danach starb sie.
Heideröslein fühlte sich nun sehr unglücklich in ihrer Verlassenheit. Das Linnenhemdchen und das bestickte Mützlein versteckte sie unter ihrem Mieder und trug es nun immer bei sich. Oft drehte sie auch an der goldenen Kette, die ihr jetzt eng um den schlanken Hals lag und dachte darüber nach, wer wohl ihre Eltern sein könnten und ob sie wohl noch am Leben wären.
Inzwischen waren auch die Söhne des Ritters zu stattlichen Junkern herangewachsen. Sie hatten das Fechten und Reiten erlernt, konnten den Speer werfen und wußten mit Pfeil und Bogen umzugehen. Das Heideröslein kannten sie kaum, das war nur selten in die Burg hineingekommen. Die stille Maren hatte sich und das Kind immer abseits von dem übermütigen Burgvolk gehalten. Auch hatte sie Heideröslein hinein gerufen, wenn sie die Junker aus dem Burgtor heraus reiten sah. Jetzt aber schaute Heideröslein gern den beiden nach und hatte ihre Freude daran, wenn sie mit ihren Rossen über die Heide dahin stürmten. Besonders dem Jüngeren, dem Junker Wolfram, klopfte ihr junges Herz entgegen. Der war von edlem Wuchs und Angesicht, und lange braune Locken fielen auf seine Schultern herab.
Oft ritten auch fremde Ritter zur Burg hinauf. Wenn dann abends im Saal die Becher kreisten, dann erzählten die Gäste von ihren Fahrten und Abenteuern, von der Welt, die weit draußen hinter der Heide lag, und von der Pracht an den Königshöfen. Da lauschten die Söhne des Ritters. Besonders Wolfram, der Jüngere, bekam glänzende Augen und konnte nicht genug hören. Ihm war die väterliche Burg schon längst zu eng und sein Sinn stand nach der Welt da draußen. Eines Tages trat er vor seine Eltern und bat, sie möchten ihn doch von der Burg ziehen lassen. Er wollte sich ein Stück Welt ansehen und dann an einem Königshof als Ritter dienen. Der Vater hatte nichts dagegen, aber allein wollte er Wolfram nicht reiten lassen. Sein treuer Knecht Heinrich sollte ihn begleiten, und der sollte sich noch einen Buben mitnehmen, der ihm unterwegs bei der Pflege der Rosse helfe. Das war nun freilich nicht nach dem Sinn des jungen Ritters. Am liebsten wäre er allein in die Welt hinausgestürmt. Da er aber zum Gehorsam erzogen war, fügte er sich dem Willen des Vaters. Seine Mutter aber wurde sehr traurig, wenn sie an den Abschied dachte. Sie ließ ihren Jüngsten nicht gern ziehen. Der Ritter jedoch tröstete sie und meinte, allzulange werde die Fahrt nicht dauern. So wurden alle Vorbereitungen zur Reise getroffen.
Heideröslein aber weinte heiße Tränen, als sie davon erfuhr. „Nimm mich mit, lieber Vater, und laß mich nicht allein hier,“ bat sie. Heinrich aber schüttelte den Kopf und meinte, ein Mägdlein können sie auf dieser Fahrt nicht brauchen. „Dann will ich als Bub mitreiten,“ sagte sie, „und niemand soll mich erkennen.“ Sie bettelte und schmeichelte so lange, bis Heinrich einwilligte. Zu seinem Herrn sagte er, Verwandte draußen in der Heide wollten seine Tochter aufnehmen und von dort wollte er sich auch einen tüchtigen Rossbuben mitbringen. Es wurde ihm nicht leicht, seinen Herrn so zu täuschen. Aber er meinte gleich diesem, allzulange werde die Fahrt nicht dauern, und Heideröslein würde sich bis dahin wohl tapfer halten. Sie hatte nun viel zu tun. Sie kramte in der tiefen Truhe nach einem festen Stoff für einen guten Wams und da sie geschickte Finger hatte, war bald alles Nötige fertiggestellt. Was ihr aber noch fehlte, das brachte der Vater von der Burg mit herunter.
Als nun an einem Maienmorgen Wolfram mit Heinrich zum Burgtor hinauszog, ritt ein schlanker Knabe hinterher. Es war das Heideröslein. Sie hatte ohne Bedenken ihre blonden Flechten abgeschnitten und eine Knappenmütze tief ins Gesicht gezogen. Das rosige Gesicht hatte sie mit brauner Wurzelfarbe eingerieben und die zarten Füße in derbe Stiefel gesteckt. Die Sonne ging gerade auf, als sie den Burgberg hinunter trabten und als sie dann unten über die Heide ritten, sah es aus, als hätten Feenhände einen diamentenbesäten Schleier darüber gezaubert. So blitzten und funkelten die Tautropfen in dem goldenen Morgenlicht. Heideröslein meinte, so schön wäre die Welt noch nie gewesen. Am liebsten hätte sie in die Jubellieder der Lerchen eingestimmt, so übervoll war ihr das Herz. Aber sie mußte schön brav hinter dem Ritter und dem Vater herreiten. Von der Burg herab wehten weiße Tücher, die letzten Abschiedsgrüße, und fröhlich zogen die Drei in den schönen Maientag hinein. Zwar schmerzten dem Röslein am Abend in der Herberge alle Glieder von dem langen Ritt, doch sie ließ sich nichts merken und nach und nach gewöhnte sie sich daran. Wolfram beachtete sie am Anfang garnicht. Doch er fand bald Gefallen an dem flinken und fröhlichen Knaben und rief ihn oft an seine Seite. Oft weilten sie auch längere Zeit an einem Flecken und Wolfram streifte allein herum. Da erzählte er dann bei seiner Rückkehr von mancher Gefahr, die er überstanden, und von manchem Abenteuer, das ihm begegnet war.
Einmal brachte er ein Kräutlein heim, das hatte ihm ein altes Weiblein gegeben. Er hatte sie auf seinem Ross mit über ein reißendes Wasser genommen. Zum Abschied sprach die Alte: „Das Kräutlein wird dir große Kraft verleihen, wenn du es zwischen deinen Fingern reibst!“ „Aber ich halte nicht viel davon, ich vertraue lieber auf meine eigene Kraft,“ sagte Wolfram. „Vielleicht kannst du es einmal gebrauchen,“ sagte er zu Heideröslein. Sie nahm es, steckte es in ihrem Wams und hütete es sorgfältig.
Der Sommer war schon ins Land gezogen, da kamen sie in der Stadt an, in der der König wohnte. Wolfram bat einen Bediensteten sich um ein Vorsprechen für ihn bei seinem Herrn zu verwenden und so bot er dem König seine Dienste als Ritter an. Der König war gern bereit, die Drei aufzunehmen, denn er meinte, ein so jugendschöner Ritter würde seinem Hofe nur zur Zierde gereichen. Wolfram zog nun mit Heinrich und Heideröslein in die Königsburg ein und Heideröslein lernte das Leben und Treiben an einem Königshof kennen. Sie staunte über die glänzenden Turniere, die auf dem großen Hof der Königsburg abgehalten wurden. Sie bewunderte die reich geschmückten Edelfrauen und Edelfräulein, die aus den Fernstern der Burg den Reiterspielen zuschauten. Sie sah auch den König und die Königin. Die Königin war wunderschön, aber sie hatte gar so traurige Augen. Heideröslein hörte, wie die Leute erzählten, daß sie vor Jahren ihr einziges Kind verloren hätte. Auch Wolfram hörte davon, und eines Tages sprach der König selbst mit ihm darüber. Er erzählte ihm, daß in seinem Land ein Zauberer sein Unwesen treibe. Dieser hatte einst zu seiner Ritterschaft gehört. Er mußte aber daraus verstoßen werden, weil er allen durch seine Zauberei unheimlich wurde. Aus Rache über seine Verbannung hatte er dann den König mit seinem Haß verfolgt und ihm das liebste geraubt, was ihm und der Königin zu eigen war, das einzige Kind. Auf rätselvolle Weise war es eines Tages verschwunden und nie hatte sich wieder eine Spur von ihm gefunden. Sicher hatte es der Zauberer verschleppt, wenn nicht gar getötet. Jetzt hauste er in einem finsteren Wald unweit der Stadt, aber bisher war es noch niemandem gelungen, ihn zum Kampf zu stellen. Die Erzählung des Königs entfachte den Mut des jungen Ritters und er sagte, er wolle mit dem Zauberer kämpfen. Doch der König warnte ihn und sagte, der Gegner habe übernatürliche Kräfte. Wolfram rief: „Ich fürchte weder Hexenspuk noch Zauberei. Ich vertraue auf meinen starken Arm und mein gutes Schwert.“ Da ließ ihn der König gewähren, und ein paar Tage später ritt Wolfram zur Stadt hinaus. Heideröslein war an seiner Seite. Sie sollte vor dem Wald auf ihn warten und einstweilen sein Ross hüten.
Als der junge Ritter in den Wald hinein trat, sah er keinen Weg und keinen Steg. Nach langem Suchen entdecke er einen ausgetretenen Pfad, der an einem Wasser entlang führte. Dem ging er nach und ein graues Gemäuer tauchte vor ihm auf. Es sah sehr unheimlich aus mit seinen vergitterten Fenstern. Verfallene Steinstufen führten zu einem Altan hinauf. Dort öffnete sich jetzt eine eisenbeschlagene Tür und ein Mann trat heraus. Halb war er wie ein Zauberer gekleidet, halb wie ein Ritter. Seinen Kopf bedeckte eine spitze Mütze und um die Hüften war ihm ein breites Schwert gegürtet.
„Was willst du hier?“ schrie er Wolfram an. „Mit dir kämpfen!“ sagte dieser. Da lachte der Mann so gellend auf, das Waldvögel ringsum erschrocken aufflatterten. Dabei hob er den Zeigefinger seiner rechten Hand empor. Daran funkelte und gleiste ein breiter goldener Ring. Wolfram fühlte, wie beim Anblick dieses Ringes alles in ihm willenlos wurde. Die Hand, die das Schwert ziehen wollte, fiel schlaff herab und einem unheimlichen Zwange folgend, ging er langsam vorwärts, stieg die Steinstufen zum Altan empor und trat dem Zauberer gegenüber.
Der aber ging, immer noch mit erhobenem Finger, rückwärts durch die Tür zurück in eine Halle. Dort öffnete er eine der Türen, stieß Wolfram hinein und schloß hinter ihm zu. Wie betäubt fiel Wolfram zu Boden und, obgleich er sich mit allen Kräften dagegen wehrte, verfiel er in einen leichten Halbschlaf. Wie lange der angehalten, vermochte er nicht zu sagen. Aber er fühlte auf einmal, wie ihm die Besinnung wiederkehrte. Er sah sich ihm Raum um. Er war halbdunkel, denn nur durch ein kleines vergittertes Fenster unterhalb der Decke flutete etwas Licht. Wolfram tastete an der Türe und sie war verschlossen. An ein Entkommen war also nicht zu denken. Er war wütend über seine verzweifelte Lage. Nur der verwunschene Ring des Zauberers hatte ihn dahinein gebracht. Gewaltsam wollte er den Blick davon abwenden, wenn er dem Zauberer wieder gegenüber stehen würde. Bei diesem Gedanken beruhigte er sich etwas, ließ sich auf einen Schemel nieder und wartete.
Draußen vor dem Walde aber wartete das Heideröslein. Als ihr Herr nach Stunden nicht zurückkehrte, hielt sie es nicht mehr aus. Sie band die Rosse an einen Baumstamm und lief in den Wald hinein. Vielleicht war ihr Herr verwundet und bedurfte ihrer Hilfe. Aber wo sollte sie ihn finden in diesem undurchdringlichen Wald? Sie irrte hin und her und kam an eine Quelle. Als sie sich darüber beugte, um sich zu erfrischen, hörte sein einen leisen Klagelaut. Er kann aus einer Felsenspalte unweit der Quelle. Ein großer Stein lag davor. Heideröslein wollte ihn hinwegdrücken, aber ihre Kraft reichte nicht aus. Da dachte sie an das Wunderkräutlein, rieb es zwischen ihren Fingern und siehe da, sie konnte mit Leichtigkeit den Stein hinwegwälzen. Aus dem Felsspalt heraus aber trat eine liebliche Erscheinung, die war ganz ein weiße Schleier gehüllt. Sie schritt zur Quelle und netzte ihre Stirn und ihre Lippen. Dann sagte sie: „Ich bin die Nymphe dieses Quells und zu seiner Hüterin bestellt. Während ich schlief, hat mir ein böser Zauberer den großen Stein vor meine Höhle gelegt. Ich wäre verschmachtet, wärest du nicht gekommen. Wie soll ich dir danken?“ Heideröslein sagte: „Helft mir, daß ich meinen Herrn finde“ und sie erzählte, daß er ausgezogen sei, um mit diesem Zauberer zu kämpfen. Da riß die Fee ein Stück von ihrem Schleier ab und gab es Heideröslein. „Bedecke damit dein Haupt und du wirst unsichtbar“, sagte sie. „Dann gehe an dem Wasser entlang, welches von diesem Quell ausgeht und du wirst an die Behausung des Zauberers kommen. Dort mußt du sehen, daß du dich seines Ringes bemächtigen kannst, denn ohne diesen ist er machtlos.“ Heideröslein dankte der freundlichen Nymphe, bedeckte ihr Gesicht mit dem Schleier und lief an dem Wässerlein entlang bis zu der Behausung des Zauberers. Öde und verlassen lag sie da.
Heideröslein ging spähend umher, aber nichts regte sich. Sie stieg die Steinstufen zum Altan hinauf und wollte die Türe öffnen. Aber sie mußte erst wieder das Wunderkräutlein zu Hilfe nehmen um diese schwere, mit Eisen bewehrte, Tür zu öffnen. Dann erst konnte sie leise eintreten. Der Zauberer saß schlafend inmitten der Halle. Vor ihm auf dem Tisch stand eine Kanne und in einem Becher war noch ein Rest mit süßem Wein. Die Hitze des Sommertages und der genossene Wein mochten ihn wohl in den tiefen Schlaf versetzt haben. Seine Hände lagen auf den Armlehnen des Stuhles, aber einen Ring konnte Heideröslein daran nicht entdecken. Da griff sie vorsichtig in die Tasche seines Wamses und zog einen Schlüssel und den Ring heraus. Fast entrang sich ihrer Brust ein Schrei der Freude. Sie probierte den Schlüssel und hatte Glück, er paßte gleich zur ersten Türe. Schnell nahm sie den Schleier vom Gesicht, öffnete die Tür und trat hinein. Wolfram aber hatte das Geräusch gehört und stand mit gezücktem Schwert bereit. Als er aber Heideröslein erblickte, fragte er erstaunt: „Wie kommst du hierher ?“ Heideröslein gab ihm den Schleier und den Ring und sagte: „Draußen sitzt der Zauberer in tiefem Schlaf und du kannst ihn mit Hilfe des Schleiers und des Ringes leicht überwältigen.“ Davon wollte Wolfram aber nichts wissen. Offen und ehrlich, wie es sich für einen Ritter gezieme, wollte er mit dem Gegner kämpfen.
Da, plötzlich hörte man draußen ein Wüten und Toben. Der Zauberer war erwacht und hatte wohl den Verlust des Schlüssels und des Ringes bemerkt. Wolfram trat schnell hinaus in die Halle. Als ihn der Zauberer sah, griff er blitzschnell in seinen Wams, zog einen Dolch heraus und warf ihn nach Wolfram. Der aber wich dem Wurf aus, ergriff sein Schwert und drang auf den Zauberer ein. Da mußte auch dieser sein Schwert ziehen. Doch der junge Ritter war ihm überlegen, und nach einem kurzen, harten Kampf erhielt er von Wolfram den Todesstreich und stürzte zu Boden. Nun erst hatte Wolfram Zeit, sich nach Heideröslein umzusehen. Sie lehnte mit blutender Stirn an der Wand, denn der Dolch des Zauberers hatte sie gestreift. Da ergriff Wolfram ihre Hand und zog sie von der unheimlichen Stätte hinweg. Unterwegs mußte er oft die Schwankende stützen und als sie an der Quelle ankamen, war Heiderösleins Kraft zu Ende. Sie ließ sich auf einen Stein nieder und lehnte ihren Kopf an die Felswand. Wolfram aber tauchte ein Tuch in das frische Quellwasser, um Heiderösleins schmerzende Stirn damit zu kühlen. Behutsam zog er ihr die Mütze vom Kopf. Da quoll ihm zu seinem Erstaunen blondes Gelock entgegen und als dann mit dem Blut auch der Wurzelsaft hinweggewaschen war, sah Wolfram in ein holdes, aber todblasses Gesichtlein. Er sah auch die goldene Kette an dem schlanken Hals und leise und beklommen fragte er: „Sag, wer bist du?“ Da schlug Heideröslein die Augen zu ihm auf, aber eine Antwort gab sie ihm nicht. Nun hob Wolfram sie mit starkem Arm empor und trug sie zum Walde hinaus. Dort setzte er sie vor sich auf sein Ross, führte das andere am Zügel mit und ritt langsam der Stadt und der Königsburg entgegen.
Vor dem Tore wartete Heinrich. Als er aber Heideröslein mit verbundener Stirn in des Ritters Armen sah, erschrak er sehr. Wolfram deutete auf Heideröslein und sagte: „Heinrich, sprich die Wahrheit, wer ist das ?“ „Es ist meine Tochter, das Heideröslein“, stammelte Heinrich. Aber zu seiner größten Verwunderung kam kein hartes Wort aus dem Munde des jungen Ritters. „Sorge einstweilen für sie“ sagte er, „ich gehe zum König und zur Königin.“ Dort berichtete er von dem Kampf mit dem Zauberer und zuletzt bat er die Königin, sie möge das mutige Heideröslein in ihre Obhut nehmen. Da ließ die Königin Heideröslein in ihre Gemächer holen.
Als ihre Mägde sie entkleideten, fanden sie an ihrem Herzen das Linnenhemdlein und das gestickte Mützlein. Sie zeigten es der Königin und diese erkannte es sogleich wieder. Sie selbst hatte es vor Jahren genäht und bestickt für ihr einziges, geliebtes Kindlein. Sie eilte zu Heideröslein und erkannte auch die goldene Kette an ihrem Hals. Heinrich wurde geholt. Er berichtete nun getreulich, wann und wo er Heideröslein gefunden hatte. Da gab es keinen Zweifel mehr, Heideröslein war die verschwundene Tochter des Königspaares. Noch ahnte sie nichts von ihrem Glück, denn ein heftiges Fieber hatte sie befallen. Als Wolfram von Heiderösleins Herkunft hörte, wurde er sehr traurig. Eine tiefe Liebe zu ihr hatte ihn erfaßt und er konnte sich ein Leben ohne Heideröslein nicht mehr vorstellen. Nun aber war sie eine Königstochter und für ihn unerreichbar.
Auf Befehl des Königs mußte Wolfram mit des König’s Mannen noch einmal hinaus in den Wald die Behausung des Zauberers zu vernichten. Mit Pech und Stroh wurde sie in Brand gesteckt und mitten in die lodernden Flammen hinein warf Wolfram den Zauberring. Unter Schutt und Asche sollte er begraben sein, damit ihn nie wieder eines Menschen Hand mißbrauche. Auf dem Heimritt dachte Wolfram an Heideröslein. Einmal wollte er sie noch wiedersehen. Dann wollte er die Königsburg und die Stadt verlassen und mit Heinrich weiter in die Welt hinausziehen. Heideröslein aber war noch immer krank. Als sie das erste mal ihre Augen aufschlug, wußte sie nicht, ob sie wachte oder träumte. Sie hatte ein weißes, weiches Gewand an und lag in einem schönen Bett. An dem Bett aber saß der König und die Königin und die Königin blickte nicht mehr traurig. Sie legte ihren Arm um Heideröslein und sagte: „Ich bin deine Mutter und der König ist dein Vater, denn du bist Gundhild, unsere tot geglaubte Tochter.“ Da schloß Heideröslein ihre Augen schnell wieder zu, denn soviel Glück auf einmal konnte sie noch nicht ertragen.
Als sie nach langer Zeit endlich ganz genesen war, wurde ein großes Fest gefeiert und alle Edlen des Landes waren dazu eingeladen. Sie hatten sich alle im Saal der Königsburg versammelt und warteten auf das Erscheinen des Königspaares. Auch Wolfram war unter ihnen. Er konnte kaum den Augenblick erwarten, in dem er Heideröslein wiedersehen sollte. Als sie dann mit ihren Eltern den Saal betrat, setzte ihm fast der Herzschlag aus. Sie war so wunderschön, und als wäre sie nie etwas anderes gewesen als eine Prinzessin, so schritt sie neben dem König und der Königin einher. Sie hatte ein goldgesticktes Gewand an und über ihren goldenen Locken lag ein zarter Schleier, den hielt ein funkelndes Krönlein fest. „Das ist unsere geliebte, totgeglaubte Tochter Gundhild“, rief der König in den Saal hinein. Da zogen alle Ritter und Edelfrauen und Edelfräullein am Thron vorüber und verneigten sich tief vor Heideröslein. Als letzter schritt Wolfram heran, doch der König hatte ihn schon erwartet. Er zog ihn zum Thron hinauf und sagte laut zu allen Gästen: „Dieser junge Ritter hat unser Land von dem bösen Zauberer befreit und durch ihn ist uns Gundhild von neuem geschenkt worden. Zum Dank dafür soll sie ihm ihre Hand reichen und er soll ihr Gemahl sein.“ Er nahm Heiderösleins Hand und legte sie in die von Wolfram. Der konnte sein Glück kaum fassen, aber Heideröslein schaute ihn schelmisch an und fragte: „Weißt du nun, wer ich bin?“
Ein so fröhliches Fest hatte wohl der alte Saal der Königsburg noch nicht gesehen, und ein noch schöneres folgte, Heiderösleins Hochzeit. Daran nahm die ganze Stadt teil und Heinrich hatte einen Ehrenplatz an der Hochzeitstafel. Er war sehr stolz auf sein schönes Pflegetöchterlein und er hätte nur gewünscht, die gute Maren hätte das alles miterlebt.
Als aber die Hochzeit mit ihren rauschenden Festtagen vorüber war, packte ihn das Heimweh, er trat vor Wolfram und bat: „Entlaßt mich aus euren Diensten. Ich habe Sehnsucht nach der Heide, nach der Burg und nach meinem edlen Herrn, eurem Vater.“ Wolfram ließ den treuen Knecht nicht gerne ziehen und Heideröslein hing ihm weinend am Halse. Mit reicher Wegzehrung und vielen Geschenken verließ der treue Knecht die Stadt und Wolfram und Heideröslein gaben ihm ein Stück das Geleit.
Die beiden waren sehr glücklich und Wolfram stand weiterhin in treuem Dienste beim König, so daß dieser oft sagte, wenn Wolfram einmal nach ihm den Thron besteigen würde, könnte sich das Land keinen besseren König wünschen. Wenn das Wolfram hörte, sagte er jedesmal scherzend zu seiner jungen, wunderschönen Gemahlin: „Und du wirst dann eine Königin sein, aber für mich bist und bleibst du doch immer – das Heideröslein.
Überarbeitet von Monika Friedmann

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