08.11.2017 DuMont Buchverlag
Oliver Bottini
Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
414 S., 22 €., Gebunden mit Lesebändchen, bedrucktes Vorsatzpapier ISBN 978-3-83219-776-6. Leseprobe
Buchbesprechung:
Mecklenburg-Vorpommern 2011: Ein Sandsturm führt auf der A 19 bei Rostock zu einer Massenkarambolage mit elf Todesopfern und 130 Verletzten. Eine junge Familie wird auf dem Weg nach Dänemark in den Urlaub beinahe ausgelöscht. Mit diesem tragischen Ereignis beginnt der mit dem Deutschen Krimi-Preis 2018 ausgezeichnete Roman von Oliver Bottini, der als einer der wichtigsten deutschen Krimi-Autoren der Gegenwart gilt. Der überlebende Vater, Maik Winter, folgt einige Jahre später seinem Freund, Jörg Marthens, nach Rumänien, der dort nach der Wende einen landwirtschaftlichen Großbetrieb aufgebaut hat.
Temeswar/Rumänien 2014: Der Kripo-Kommissar Ioan Cozma hat längst alle Ambitionen aufgegeben. Bis zur Pensionierung sind nur noch ein paar Jahre und wenn er nicht groß auffällt, wird auch niemand in seiner Vergangenheit wühlen. So hofft er, doch es kommt anders: Eine junge Deutsche wird brutal ermordet und ausgerechnet er soll ermitteln. Seine Vorgesetzten machen Druck – der Vater der Toten ist einer der Großgrundbesitzer in der Gegend, besagter Jörg Marthens.
Bald scheint der Fall gelöst – der mutmaßliche Täter ein junger Feldarbeiter, der in das Opfer verliebt war und seit ihrem Tod verschwunden ist. So einfach liegt der Fall dann doch nicht… Als eine Spur nach Mecklenburg-Vorpommern führt, der Heimat der Ermordeten, macht sich Cozma auf den Weg – und muss feststellen, dass er dort nicht der Einzige ist, der für Gerechtigkeit sorgen will – und er selbst an den Fäden eines unbekannten Strippenziehers hängt.
Zwischen diesen beiden Schauplätzen pendelt die spannungsgeladene Handlung des Romans. Das Bindeglied zwischen der Naturkatastrophe in Mecklenburg-Vorpommern und dem Verbrechen in Rumänien sind die Auswüchse der globalisierten Agrarwirtschaft. Sowohl in Ostdeutschland wie in Rumänien wird der Kampf um fruchtbares Ackerland mit harten Bandagen geführt.
Bottini hat die Verhältnisse in beiden Ländern intensiv recherchiert und sie detailreich in seinem Buch aufbereitet, das neben dem Leseerlebnis auch reiche Erkenntnisse vermittelt. Das Thema Landraub, – der Ausverkauf von Land an ausländische Investoren –, so fand er heraus, ist nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in Europa ein Problem. Durch enorme Subventionierung der Großbetriebe hatten die ostdeutschen Kleinbauern nach der Wende das Nachsehen. Bei den LPG-Umwandlungen ging nicht immer alles rechtmäßig zu. Wer am meisten zahlen konnte und am meisten Land wollte, bekam den Zuschlag. So gibt es immer weniger ortsansässige Familienbetriebe. Viele Einheimische wanderten ab und suchten ihr Glück anderswo, wie Jörg Marthens, zentrale Romanfigur, in Rumänien. Mit dem Ergebnis, dass die ländlichen Gebiete zunehmend veröden. Die Großen stellen weniger Arbeitsplätze bereit, sind selten in lokale Strukturen eingebunden, leben und kaufen nicht dort und lassen auch nicht in den Dörfern reparieren. In Rumänien war die Situation nach dem Sturz der Diktatur und der Öffnung zum Westen vergleichbar. Dort sind inzwischen große, landwirtschaftliche Flächen in arabischer, asiatischer oder auch deutscher Hand. Für einheimische Bauern sind die maßlos gestiegenen Landpreise nicht mehr bezahlbar.
Ein Sandsturm, eine bislang undenkbare Naturkatastrophe in Mecklenburg-Vorpommern: So der Einstieg in das Geschehen. Auch dies eine Folge exzessiver Agrarindustrie. Der Wind hat den Sand von den Äckern geweht und ist zum gewaltigen Sandsturm geworden: Riesenflächen ohne trennende Baumreihen oder Hecken, die den Wind abfangen könnten. Bodenerosion auch als Folge von Monokulturen mit Mais, Raps, Soja, Biosprit-Wahnsinn, Massentierhaltung. So wie die Dörfer veröden auch die Böden.
Bottini versteht sich als politischer Autor und die Zustände, die sich ihm bieten, empören ihn. Als literarischer Kämpfer legt er sie einem breiten Publikum offen. Meisterhaft verbindet er beide Welten in der Handlung dieses beachtenswerten Romans, der nicht nur Kriminalroman, sondern auch eine aktuelle Gesellschaftsanalyse darstellt. Dabei verbindet er gekonnt Politthriller und Wirtschaftskrimi mit Familiendrama zu einer fesselnden Geschichte.
Atmosphärisch dicht und spannend erzählt, in klarer, ausdrucksstarker Sprache, aber einfühlsam, zeichnet Bottini seine Figuren, denen das Leben manche Wunde geschlagen hat. Die bei allem Streben, den Verhältnissen zu entkommen, sich von ihrer schon auch einmal unrühmlichen Vergangenheit zu lösen, dann aber doch von ihr eingeholt werden. Und ihrem redlichen Bemühen, sich der Gegenwart zu stellen. Bei aller melancholischen bis trüben Stimmung, die über dem Geschehen liegt, ist doch stets der Glaube an etwas Gutes und an Menschlichkeit spürbar.
Weder in Ostdeutschland noch in Rumänien ist die Vergangenheit vorbei. Profiteure wie Verlierer des alten Systems sind auch heute meist die gleichen wie ehedem. Geheimdienstwissen von gestern bedeutet immer noch Macht und wird gnadenlos für politische wie wirtschaftliche Interessen eingesetzt. – Genug Stoff für einen vielschichtigen, aktuellen Kriminalroman. Eben diesen.
Eine ebenso spannende wie literarisch anspruchsvolle Lektüre mit Mehrwert.
(Ursula Süß-Loof, M.A.)