Kochen: Vom Einfachen das Beste

Kochen: Vom Einfachen das Beste

Westend Verlag Franz Keller Vom Einfachen das Beste
04/2018 Westend Verlag
Franz Keller

Vom Einfachen das Beste

Essen ist Politik oder
Warum ich Bauer werden musste, um den perfekten Genuss zu finden
245 S., 24 €, zahlr. s/w-Fotos, ISBN 978-3-86489-203-5. Auch als E-Book 
„Im Grunde ist die Sache doch ganz einfach: Der Mensch ist, was er isst. Doch wenn ich über die Qualität und Inhaltsstoffe unserer sogenannten Lebensmittel nachdenke, dann mache ich mir ernsthafte Sorgen.“
koch-0003.gif von 123gif.deDas sagt Franz Keller, einer der meistdekorierten Sterneköche in Deutschland im vorliegenden Buch. Doch dabei, sich nur zu sorgen, belässt er es nicht. Das verspricht schon der Button auf dem Cover seines Buches: ‚Ein Sternekoch greift an‘. Und zwar einer, der weiß, wovon er spricht. Er kennt die gesamte Bandbreite internationaler Gastronomie in allen Facetten wie kaum ein anderer. Die harte Schule der Kochkunst durchlief er bei Legenden wie Jean Ducloux, Paul Bocuse oder Michel Guérard und neben Eckard Witzigmann zählte er zur ersten Generation der Starköche, die die deutsche Küche revolutionierten.
Der Inhaber zweier Michelin-Sterne kochte für die Queen, für Staatsoberhäupter, und Angela Merkel war mit Wladimir Putin in seiner „Adler Wirtschaft“ in Hattenheim zu Gast. Doch schon Ende der 1990er Jahre verabschiedete er sich ganz bewusst von der übertriebenen Sterne-Jagd und verfolgt seither konsequent seine eigene Philosophie: Vom Einfachen das Beste und fordert in seinem Buch ein radikales Umdenken: Schluss mit einer sinnentleerten Sterneküche, in der ahnungslose Kritiker das luxuriöse Ambiente höher bewerten als die Qualität der Produkte. Und Schluss mit einer industriellen Nahrungsmittelproduktion, die den Respekt vor Tieren und Pflanzen verloren hat und den Menschen krank macht.
In scharfem Ton rechnet er mit Politik und Industrie ab, denen die Gesundheit der Bürger offenbar gleichgültig ist: „Essen ist Politik“, betont Keller. An schlechtem Essen verdienten sich immer noch zu viele eine goldene Nase: die industrialisierte Landwirtschaft, die am meisten EU-Subventionen einstreiche, die Lebensmittel-konzerne, von der sich Otto Normalverbraucher mit gedoptem Billigfleisch und Fertiggerichten mästen lasse: Durch falsche Ernährung entstünden unserem Gesundheitssystem pro Jahr 17 Milliarden Euro Kosten.
Doch auch das Essverhalten besagter Bürger beobachtet und beurteilt er kritisch. Angesichts zahlreicher Kochshows und Food- Blogs in den Medien möchte man zwar glauben, dass wir uns allmählich zu Gourmets und Genussköchen entwickelten, doch die Realität sieht anders aus. Eine gesunde Ernährung favorisierten die meisten Menschen doch nur in Meinungsumfragen. „Tatsächlich“, so stellt Keller fest, „läuft der Trend komplett in die entgegengesetzte Richtung: Weg von frisch zubereitetem Essen und hin zu industriell produzierten Fertiggerichten und Lebensmitteln, die ich eher als Sterbemittel bezeichnen würde. Und während die Promiköche in der Glotze um die Wette witzeln, schaufelt sich eine zunehmende Zahl der Zuschauer offensichtlich Tiefkühlpizza und Fertigfutter aus der Mikrowelle rein oder lässt sich das Fastfood durch unterbezahlte Kuriere vom Lieferservice nach Hause bringen.“
Schnell muss es gehen, effektiv, und billig muss es sein. Der Preis dafür ist eine extreme Massentierhaltung, die jeden Respekt vor den Tieren verloren hat, sind mit Gülle überdüngte Böden, die unser Trinkwasser mit Nitrat verseuchen, ebenso wie mit Monokulturen bepflanzte und mit Glyphosat vergiftete Äcker, obwohl das massive Insekten- und Vogelsterben inzwischen nicht mehr geleugnet werden kann.
Da scheut sich der streitbare Geist auch nicht, seinen Lesern schon einmal gründlich den Appetit zu verderben: „Das nächste Mal, wenn Sie auf einem zähen Stück Billigfleisch herumbeißen, denken Sie daran: Sie kauen auf der Todesangst eines auf barbarische Weise gezüchteten und geschlachteten Tieres.“ Oder: „Ist Ihr Kalbsschnitzel schön weiß? Dann litt das Tier sein kurzes, erbärmliches Leben lang an Eisenmangel.“
Er selbst hat seine Kehrtwende bereits konsequent vollzogen und sich von dem ganzen ‚Sterne-Zirkus‘, losgesagt. Schritt für Schritt hat er sich die Freiheit, seinen eigenen Weg zu gehen, erarbeitet. Für die Idee seiner Küche ‚Vom Einfachen das Beste‘ sei er in gewisser Weise noch einmal an den Anfang zurückgegangen und vom blank gewienerten Sternehimmel dann letztendlich auf seinem Falkenhof gelandet. Zwar entspricht sein neues Prinzip wohl kaum mehr den Michelin-Kategorien. Doch in seiner Adler Wirtschaft verwirklicht er endlich seinen Traum: Kochen als Genuss-Handwerk ohne überzogenen Luxus, bei dem der Inhalt mehr zählt als die Form.
Fesselnd erzählt Franz Keller in diesem sehr informativen und wirklich lesenswerten Buch seine ganze Geschichte, von den Lehr- bis zu den Herrenjahren, mit allen Höhen und Tiefen. Er schildert seine Suche nach dem perfekten Genuss, seinen oftmals steinigen Weg bis hinauf in den kulinarischen Sternenhimmel und wieder zurück auf den fruchtbaren Boden auf seinem Falkenhof, wo er inzwischen selbst Rinder, Schweine und Hühner züchtet, weil er die Qualität, die er sich für seine Küche vorstellt, nicht mehr kaufen kann. Das macht er mit Hingabe und nach hohen ethischen Standards, wozu neben artgerechter und naturnaher Haltung für ihn selbstverständlich gehört, das Tier komplett zu verwerten.
Er möchte die Menschen wieder an den Herd holen. Sie sollten wieder selber kochen statt Köchen zuzusehen. Und damit die Kontrolle über ihr Essen wieder zurückgewinnen. Dafür liefert der Sterne-Koch einige ausgewählte Rezepte, die er ausführlich beschreibt, mit vielen nützlichen Hinweisen, worauf es dabei ankommt. Auch sie zeigen: Das Beste vom Einfachen ist einfach das Beste.
Mit diesem Buch, in dem er ein fundiertes, realistisches Bild heutiger Nahrungsmittel-produktion und ihren fatalen Folgen aufzeigt, will er dazu anregen, nachzudenken, was jeder Einzelne durch sein Handeln dazu beitragen kann, die Welt wenigstens ein wenig zu verbessern. Gleichzeitig sieht er aber auch die Politik in der Pflicht.
Das dürfte auch ein Problem sein. Denn wie bereits festgestellt, profitieren einfach zu viele vom gegenwärtigen System, nicht zuletzt der Staat, dem es reichlich Steuern in die Kassen spült.
Es ist ein Buch von denen man sich mehr wünschte. Und gerne möchte man sich Vincent Klink anschließen, selbst renommierter Sternekoch mit ähnlicher Einstellung, der über den Autor sagt: „Ach, gäbe es nur mehr solche Kerle!“ (Ursula Süß-Loof, M.A.)

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