France: Ardèche

France: Ardèche

Ardèche in Rhône Alpes

mit allen Wassern gewaschen

Das Département Ardèche, eines von sieben in Rhône Alpes, ist mit allen Wassern gewaschen. Der gleichnamige quicklebendige Fluss (der beliebteste Europas für Wildwasser-Fahrten) entspringt in den Cevennen und schlängelt sich malerisch und relativ ungezähmt durchs ganze Land, bis er (in Avignon/Provence) in die Rhône mündet. Im Norden des Départements entspringt die Loire, außerdem plätschern noch viele weitere Wässerchen munter durch die drei Arrondissements der Ardèche:Tournon-sur-Rhône, Privas und Largentière, die man in einer Woche so gut umrunden kann, um sich Appetit für einen längeren Aufenthalt zu holen. Es sei denn, man hätte nichts übrig für wilde, unverbrauchte Naturschönheit, Einsamkeit und Erholung.

 

Kurzurlaub mit Langzeitwirkung

Sonnige Nebelstreifen liegen schemenhaft vor Lyons Flughafen Saint Exupéry, was sogar die riesigen Atommailer linkerhand putzig aussehen lässt. Dass ich diesen Flug erwischt habe kann ich immer noch nicht fassen, da zwischen meinem Verschlafen und dem Abheben des Flugzeugs 52 Minuten lagen… Wie der Kleine Prinz, der unverhofft auf den französischen Planeten der grauen Häuser, grünen Landschaften und blauen Wasser gebeamt wurde, komme ich mir vor, wobei diese Assoziation dem Namen meines Zielflughafens Lyon zu danken ist, der 2000 nach dem hier geborenen Piloten und Kleiner-Prinz-Autor Antoine de Saint Exupéry benannt wurde. So heißt auch der futuristische TGV-Bahnhof, der auf Anhieb beeindruckt. Zu den etwas außerhalb liegenden Autoverleihern führen Shuttlebusse. Mit einem vorbestellten Leihwagen, (je kleiner umso besser!) mache ich meine Ardècherundreise. Von Lyon-Airport geht es vorerst via Valence (Hauptstadt des Département Drôme am linken Rhôneufer und nördliches Tor zur Provence), nach Montélimar. Bei jedem Frankreichaufenthalt ist der Café au lait für mich die Einstiegsdroge ins Vergnügen, erinnert er mich doch an die Zeiten, als man ihn nur in Frankreich so eindeutig bittersüß, mokkaeisfarben und aus einer Riesentasse trank. Umso erstaunter bin ich, als er im Straßencafé in Valence heute in einer kleinen Kaffeetasse auf den Bistrotisch kommt. Dafür ist die Meringue, das Zucker-Eischaumgebäck so monströs, dass ich nur die Hälfte bezwinge und den Rest vom Wind ins Haar und in die Luft geblasen bekomme. Mit etwas klebrigen Fingern besichtige ich die hübsche Altstadt des Nordtors zur Provence und setze mich dann in Bewegung.

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Richtung Montélimar, mein zweiter Stop in Drôme und letzter außerhalb Ardèche, der 165 km südlich von Lyon liegt. Die Nougathauptstadt (mit einem praktischen Parksystem) ist weltbekannter Produzent der süßen Spezialität, die es hier in vielen Varianten gibt. Ich mag ganz besonders die weichen Ausgaben mit Mandeln, Pistazien, Erdbeeren…. Dasörtliche Nougatmuseum erklärt alles ganz genau. Nachdem ich mich ausreichend mit Nougat eingedeckt habe geht’s endgültig ab in den Süden, ins Département Ardèche. Das GPS erkennt anfangs keinen der kleinen Zielorte. Wegweiser sind dünn gesät und Nachfragen bei einsamen Wanderern erfolglos. Bis ich endlich herausfinde, dass die Eingabe der Postleitzahlen, selbst das winzigste Nest aufspürt. Gerettet! Rasch wird die Stimmung und die Landschaft grüner und hügeliger.

 

Ardèche – Korsika des Festlands

Die unberührte Wildheit der Landschaft erinnert mich sofort an Korsika, wo ich eine Weile gelebt habe. Tatsächlich trägt die Ardèche, wie ich erfahre, den Beinamen, Korsika des Festlands und seine Umrisse spiegeln auf den Kopf gestellt die revoluzerische Mittelmeerinsel wieder. Um vorwärts zu kommen, muss man dort wie hier motorisiert sein. Auf der rechten Rhôneseite gibt es keine Autobahn, kein Passagier-Eisenbahnnetz und auch Buslinien sind rar.

07700 Saint-Martin d’Ardèche ist nach einstündiger Fahrt erreicht und dort Camping Le Moulin Indigo. Ein Platz, der zurück zu den Wurzeln des Camping strebt. Holzwohnwägen anstatt der üblichen Plastikveranstaltungen, außergewöhnliche, großräumige Mietzelte, die auf Pfählen stehen, umgeben von sehr viel Natur. Ich genieße vor der Weiterfahrt den platzeigenen wildromantischen Ardèchestrand mit grandiosem Ausblick auf die Brücke (Foto). Viel Platz, maximal 30% Festplätze, (geöffnet bis Anfang Oktober). Ausflugsempfehlung: Saint-Remèze Musée de la Lavande et Distillerie.

 

Steinalt, bildschön und hart erarbeitet

Steinalte Dörfer, wie z.B. das bildschöne Balazuc an der Ardèche liegen wie graue Eminenzen auf Bergkuppen oder malerisch in Tälern. Hier, im südlichen, hügeligen Ardècheland, ist – jetzt im Septermer – der Lavendel geschnitten und die Sonnenblumen stehen schwarz in der Landschaft. Dicke, vorwiegend blaue Trauben hängen zum Anbeißen verlockend an den Weinstöcken und die Esskastanien sind im Fallen begriffen. Man sollte sich weder an den einen noch an anderen Früchtchen vergreifen. Fast das gesamte Département, von jeher ein armes Land, befindet sich parzelliert in Privatbesitz. Kastanien ernten heißt, diese vom Boden aufheben und mitnehmen, was unter Diebstahl fällt. Das sollte man wissen. Also: wer etwas mitnehmen möchte muss fragen oder besser auf der “Ferme” erwerben, wo es meistens auch köstlichen Schafs- Ziegenkäse und andere ländliche Spezialitäten gibt, wie z.B. winzige Pflaumen, ein Japan-Exportschlager. Wenn es gerade passt kann man gleich zum Campen auf dem Bauernhof bleiben – eine einfache, für manche recht reizvolle Variante der Übernachtung. Es gibt mehr als 200 Campingplätze von 1-4 Sternen im Département.

 

Chambres und Tables d’Hôtes

Für meinen Geschmack eine der schönsten Möglichkeiten, Land und Leute kennenzulernen, ist die Einrichtung: Chambres d’Hôtes. Was ungefähr gleichzusetzen ist mit gehobenem Bed & Breakfast. Man wohnt in sehr individuellen alten Gemäuern in der Privatsphäre von deren Betreibern. Am gemütlichsten ist es, wenn dazu noch die Table d’Hôtes kommt, die Variante, wo man mit den Besitzern und anderen Gästen speist wie daheim im Wohnzimmer. Dabei wird getafelt, was im Hause zubereitet wird und der Gastgeber sollte eigentlich mit am Tisch sitzen. Auch hier macht der Aufenthalt doppelt und dreifach soviel Spaß mit Französischkenntnissen. Sofern diese nicht vorhanden sind empfehle ich – wie auch bei sonstigen Fremdsprachenlücken ein Zeigewörterbuch, z.B. das von Pons für 7,95 €

55 km von Saint Martin d’Ardèche entfernt, nach circa einstündiger Autofahrt – teils durch strömenden Regen, ist das hochgelegene 07260 Vernon erreicht, wo mich im Le Mas de la Cigale Catherine Gohier erwartet, die das 5-Zimmer-Haus mit großer Herzlichkeit und ausgezeichneter Küche führt. Bis zu 5 Zimmer sind bei Chambre d’Hautes erlaubt. Das “Zikaden”-Haus stammt aus dem 19. Jh und schenkt Ausblicke über die Weiten der mediterranen Ardèche: Weinfelder, Kastanienbäume, Nadelhölzer, Grün und Brauntöne und als Farbtupfer das Türkis des Swimmingpools hinter dem Haus nicht zu vergessen…
Catherines gemütlicher Salon lädt ein zum Lesen oder zum Genießen der Stille, die jetzt mit ihrer ganzen, sanften Gewalt durch die Fenster zu kriechen scheint. Das Gewitter macht Pause, die lähmende Schwüle die ihm vorausging ist verschwunden und aus dem weiten Land weht leichter Lavendelduft herauf bis ihn erneut der Regen hinwegwischt, der wieder Oberhand gewinnt… Ich bin todmüde und schlafe in dieser ersten Nacht wie ein Stein. Beim Frühstück an der Table d’Haute sitzt schon das Team der Zeitschrift Les plus belles Maisons (die schönsten Häuser). Ihre Minen sind ähnlich bedeckt wie der Himmel. Ideale Bedingungen für Fotoarbeiten haben sie nicht gerade. Trotzdem kommen wir schleppend ins Gespräch, was bei der Wohnzimmer-Athmosphäre kaum zu umgehen ist. Wir tauschen ein paar Belanglosigkeiten aus – dieses Mindestmaß an Konversation gehört sich an den Gästetischen. Catherine serviert einen köstlichen Café au lait (ich bin versöhnt!), von dem die Kollegen nur den schwarzen Anteil trinken und selbst gemachte Konfitüren sowie eine leckere Kastaniencreme. Schließlich stehen die Maronenbäume mit reifen Früchten direkt vor dem Haus. Abmarsch: Dem Citroen C5-Navi gebe ich als Befehl die kürzeste Strecke nach Rosière, disponiere aber schon oben bei der Ortskirche auf “schnellste” um – im Département Ardèche meistens zu empfehlen. Die “kürzesten” Wege sind nämlich meistens so schmal, dass man sie höchstens mit dem Citroen Deux Chevaux bewältigen könnte.

 

Geheimtipp in Rosières

In 07260 Rosières, ist Chambre und Table d’Hôtes L’Oustalou ein echter Geheimtipp, besonders was die Gourmetküche angeht. Aber auch die Lage über einer weitläufigen Weinlandschaft ist eine Augenweide. Zu Véronique und Philippe Alcalde, zwei Aussteiger aus dem Pariser Metropolenleben, kommen die Gäste immer wieder gerne zurück. Man ist teilweise schon eine eingeschworene Gemeinschaft. Der Hausherr kocht kreativ wie ein Weltmeister, unterstützt von seiner Frau und schöpft im eigenen Bio-Kräutergarten aus dem Vollen, was immer wieder zu fröhlichem Welche-Kräuter-sind-da-drin-Raten führt! Genau das Richtige für Weltbürger, die abends gerne mit anderen Gästen und den Gastgebern zusammensitzen, über Gott und die Welt plaudern und wie Gott in Frankreich speisen. Schon beim Aperitiv, kredenzt aus einer großem Auswahlmöglichkeit, kommt man sich näher. Ohne Französischkenntnisse schaut man hier allerdings etwas alt aus… Auch das Frühstück ist grandios. Alles selbstgemacht: Marmeladen, Käse usw.

 

Im Zentrum des Cevennenphänomens

Rendez-vous beim Tourismusbüro von Ardèche-Tourismus für Infomaterial. Ab hier bin ich im PKW unterwegs und erlebe alsbald das spektakulärste Unwetter, das ich jemals in Europa erlebt habe und das mich irgendwie an die Tropen erinnert. Das Wolkenmeer scheint die Kontrolle über seine Schleusen zu verlieren, der über Wochen ausgetrocknete Boden kann das Wasser nicht aufsaugen und innerhalb kürzester Zeit schießen Sturzbäche aus jedem Loch der Umgebung, das sich als Kanalisation anbietet: Mauern, Seitenrinnen der Straßen, Böschungen. Die Scheibenwischer kommen nicht mehr nach. Ich fahre rechts ran, denn ich bin diesen Gewalten nicht gewachsen. Ein gigantisches Erlebnis, das man nicht alle Tage hat!
Außerhalb von Frankreich kennt man von der Region am ehesten die spektakulären Gorches de l’Ardèche, die circa 30 km langen Schluchten am Unterlauf des Flusses: der Durchbruch vom Plateau de Gras (unter dem französischen Zentralmassiv) in die Rhône-Ebene. Die Schluchten befinden sich zwischen Saint-Martin-d’Ardèche und Vallon-Pont-d’Archhier im Süden der Region, wo sich der Wasserstand schon mal innerhalb von Stunden um 7-8 m heben kann, wie ich es im September 2010 erlebt habe. Die Beteuerung Einheimischer, dass am nächsten Tag die Sonne zurück sein werde, scheint mir sehr weit hergeholt. Sie nennen es Cevennenphänomen. Aber tatsächlich: tags darauf protzt der Planet schon zu früher Morgenstunde so, als wäre nichts geschehen. Zwar mag noch der eine oder andere Felsbrocken aus dem Fahrweg zu räumen sein, aber danach ist eine Fortsetzung der Reise fast problemlos möglich und die Region erstrahlt wie runderneuert. Kein Wunder, dass hier das Grün im September noch ein bisschen Grüner ist als anderswo.

 

Frisch gewaschene Ruhe nach dem Sturm

Nach dem Unwetter, das auch für hiesige Verhältnisse offensichtlich so außergewöhnlich ist, dass es tags darauf allerorten Thema Nummer Eins ist, genieße ich, um eine grandiose Naturerfahrung reicher, das köstliche Angebot auf dem Wochenmarkt in Joyeuse: Obst, Gemüse, Wurst-, Käse und ganz einfach nur das bunte Treiben…

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