Das Haus meiner Eltern

Das Haus meiner Eltern

11.3.2019 btb-Verlag Random House
Ursula Ott

Das Haus meiner Eltern 

hat viele Räume

Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren
190 S., 18,– €. ISBN 978-3-4427-5824-1. Leseprobe

Rezension von Ursula Süß-Loof, M.A.

Irgendwann ist es soweit: Das Elternhaus ist zu groß geworden für die alten Eltern. Ist vielleicht auch weit entfernt vom Lebensbereich der Kinder, die oft genug mit sich selbst zu tun haben und jetzt vor der Entscheidung stehen, was sie mit dem Ort ihrer Kindheit machen sollen. Eltern wünschen sich zwar gemeinhin, dass die Kinder einmal einziehen in das Elternhaus. Für die meisten hat sich das Leben aber anders entwickelt. Sie wollen nicht zurück, ihre Eltern jedoch gut versorgt wissen.

Auch Ursula Ott, Journalistin und Autorin zahlreicher Sachbücher, steht vor der Frage: Was wird aus unseren alt gewordenen Eltern und was machen wir mit deren Zuhause? Und: Wie verabschieden wir die Heimat in Würde? Was hat für uns als Familie wirklich noch einen Wert und was muss weg? 


Zu den geburtenstärksten Jahrgängen der Nachkriegszeit gehörend, ist sie damit nicht allein. Mitten im Leben stehend, stellte sich ihr wie Vielen dieser Generation nun dieses Thema. Die Mutter gibt ihr vertrautes Zuhause auf, sie und ihre Schwester ihren Rückzugsort in Krisenzeiten. „Ich fürchte, ich muss jetzt wirklich erwachsen werden.“
Einfach ausräumen lassen, entrümpeln, entsorgen, war keine Option. Versuche mit Profiausräumern waren frustrierend, deren taxierender, oftmals abwertender Blick auf Dinge, von denen jedes einzelne Stück für die Mutter einen Wert hatte, kränkend.
Ein Jahr haben sie und ihre Schwester sich Zeit genommen, zusammen mit ihrer betagten Mutter, einen Weg zu finden, der sich gut anfühlt. Zeit für die Mutter, aber auch für die Töchter: Dinge der Kindheit noch einmal anzuschauen und zu verstehen, wo man herkommt. Und dabei die Lebensspuren zu ergründen, die das Elternhaus in einem hinterlassen hat.
Daraus ergab sich eine spannende Spurensuche in die Vergangenheit, ein Reisebericht durch die Zeit von Kindertagen an bis zur Gegenwart. Sowie ein Erfahrungsbericht ab der Entscheidung, das Elternhaus zu verkaufen, bis zum Umzug der Mutter in ein Objekt für Betreutes Wohnen.
In diesem sehr persönlichen Buch vermittelt Ursula Ott einfühlsam und in leichtem Ton ihre Suche nach der für alle Beteiligten besten Art und Weise des Unternehmens ‚Ausräumen und Loslassen‘. Eine, die der Seele guttut. – Keine leichte Aufgabe, wie sie immer wieder aufzeigt. Sie erzählt, welche Hürden sich dabei ergaben – praktisch und emotional – und wie die Beteiligten diese gemeinsam genommen haben.
Unterhaltsam geschrieben, mit gekonnter Verbindung von Familien- und Zeitgeschichte, bietet das Buch eine gleichermaßen kurzweilige wie informative Lektüre und gibt dem Leser neben interessanten Fakten zu Gesellschaft und Politik auch eine Fülle praktischer Tipps an die Hand, für alle Beteiligten zufriedenstellend mit Gegenständen umzugehen, die man zwar nicht behalten, aber auch nicht wegwerfen möchte. Denn „Dinge wollen weiterleben. Jedes Teil hat seine Geschichte und verdient Respekt.“ Im Zentrum stets die Frage, wie man respektvoll Abschied vom Haus der Kindheit nimmt und sich von Dingen befreit, die zwar ein Teil von uns sind, aber dennoch nicht zu uns gehören.
Ihre Erfahrungen ergänzt sie immer wieder mit Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung zu Themen wie Abnabelung, Loslassen oder Pathologie des Sammelns, sowie Auswirkungen von Kriegstraumata auf die Folgegeneration. Auch der Rat einer Psychologin, Dinge in ‚kalt‘ oder ‚warm‘ zu unterteilen, als Entscheidungshilfe, sie zu bewahren oder aufzugeben. Kalte oder warme Gegenstände – für jeden etwas anderes.
Ein Anhang enthält weitere, interessante Literatur zum Thema.
Im ‚ABC der Dinge‘, von ‚Angelzeug‘ bis hin zu ‚Zinn‘ erhält der Leser noch eine Reihe nützlicher Tipps, wie man für die jeweiligen Gegenstände ein neues Zuhause findet. – Kein nüchterner Anhang, vielmehr eine unterhaltsame Zugabe zur Geschichte. Auch hier werden sich manche Leser/innen wiederfinden. Vielleicht auch bei ‚Momo und andere Bücher‘? Wenn die eigenen Eltern Mitglied im selben Buchclub waren und man die gleichen Titel beim Ausräumen findet. Bücher, die zwar „ganz und gar keinen Literaturpreis gewannen, „mit denen aber ein Bildungsaufstieg markiert wurde, … weil die Eltern dem Kind damit die Welt der Buchstaben, Wörter und Sätze eröffnet haben.“ …
Der Abschied vom Elternhaus ist der Abschied von einer langen Lebensspanne. Ausräumen erfordert Mut, denn man weiß nie, welche dunklen Ecken man dabei findet. Es ist nicht nur schweißtreibend, da wir alle Zuviel von allem haben. Vor allem aber ist es „Schwerstarbeit für die Seele.“
Ein berührendes Buch, das alle früher oder später angeht. (Ursula Süß-Loof, M.A.)

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