2011 Westend Verlag
Ines Pohl (Hg.)
50 EINFACHE DINGE, DIE SIE TUN KÖNNEN,
UM DIE GESELLSCHAFT ZU VERÄNDERN
192 S., 12.95 € [D], 13.40 € [A], 20.50 sFr., ISBN: 978-3-938060-34-6
Ein sehr gutes Buch, das die – von vielen längst als normalen Zug der Zeit empfundenen – Entgleisungen unserer sogenannten zivilisierten Gesellschaft schonungslos, kurz, und präzise unter die Lupe nimmt und Tipps gibt, sich dagegen aufzulehnen. (RS)
Vorwort von Ines Pohl
Heute schon die Welt gerettet?
Millionen von Toten in den aktuellen Kriegen in Irak, Afghanistan und Kongo, Tausende vergewaltigte Frauen, misshandelte Mädchen, Billionen ungedeckter Schulden in den Blasen der Finanzmärkte, Milliarden von Steuergeldern als Rettungspakete für Banken und Spekulanten – und gleichzeitig eine langwierige Diskussion, ob fünf oder sechs Euro mehr »Hartz IV« angemessen sind.
Extreme Temperaturveränderungen an den Polen, fortschreitender Kahlschlag an den grünen Lungen des Planeten, Bodenzerstörung, Artenvernichtung – und gleichzeitig eine »Umweltplakette« für 300-PS-Panzer in Innenstädten.
Trotz des seit Jahrzehnten wachsenden Wohlstands eine Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Gemeinwohl und Eigennutz, die immer weiter auseinanderklafft. Und weil Medien und Politiker miteinander um Aufmerksamkeit konkurrieren, wird auch das Klagen über diesen Zustand der Welt immer lauter, immer schriller. Was nicht in eine knallige Überschrift passt, geht unter in dieser Inszenierung einer Welt, die angeblich immer undurchschaubarer, immer komplexer, immer unbezwingbarer wird. Darin zeigt sich das Gegenteil von dem, was nach Kant Aufklärung bedeutet, nämlich der »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«.
Wenn wir behaupten, die Welt sei überkomplex und unübersichtlich, schwingt immer auch die faule Behauptung mit, wir selbst seien darin ohnmächtig und hilfl os. Gerieren wir uns selbst als machtlos, entbinden wir uns auch jeder Pfl icht, die Welt zu verändern. Dieser Einsicht ist dieses Buch verpfl ichtet. Es geht nicht um Revolutionsentwürfe, sondern um kleine Schritte; nicht um theoretische Forderungen, sondern um machbare, praktische Hinweise und Verbesserungsvorschläge; nicht um ein Rezeptbuch zur Rettung der Welt – irgendwann –, sondern um Anregungen, vor Ort und bei sich selbst anzufangen. Dabei sollten wir uns nicht vom Großen, vom Überirdischen überfordern lassen. Sondern uns fordern lassen vom Kleinen, vom Naheliegenden, vom Machbaren. Und zwar jetzt. Denn eine zweite, eine bessere Welt wird uns nicht anvertraut werden. Für uns gibt es dieses eine Mal. Jetzt sofort und nicht widerrufbar.
Dass der Westend Verlag für ein solches Buch auf die taz zukommt – und dass mit Ute Scheub, Jürgen Gottschlich und Mathias Bröckers drei »Urgesteine« aus der Gründergeneration die Redaktion übernommen haben – ist kein Zufall. »Wir warten nicht auf bessere Zeitungen«, war vor über 30 Jahren die Parole der taz-MacherInnen – und sie fi ngen vor Ort und einfach selbst damit an. Dieser Esprit und diese Hemdsärmeligkeit einer kleinen Gruppe Engagierter – aus der mittlerweile eine Genossenschaft mit über 10 000 Mitgliedern, eine Tageszeitung mit über 200 000 LeserInnen pro Tag und eine unüberhörbare Stimme in der Öffentlichkeit geworden ist – ein solcher zupackender Geist scheint heute wieder notwendiger denn je. Und die 50 einfachen Dinge und Überlegungen, die im Folgenden präsentiert werden, zeigen auf, wo solche engagierten Geister und nachdenkende AktivistInnen heute gefragt sind.
Die Auswahl, die wir getroffen haben, erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, sehr wohl aber auf NotwendigHeute schon die Welt gerettet? 11 keit und Machbarkeit – und das vielfältige Spektrum der Themen sollte jeden an gesellschaftlichem Wandel Interessierten etwas fi nden lassen. Gemeinsam ist diesen so verschiedenen Dingen, dass sie Alternativen zum Bestehenden aufzeigen und davon ausgehen, dass neue gesellschaftliche Bewegungen und Formationen immer innerhalb der alten entstehen – oder sie entstehen gar nicht. Sogenannte Paradigmenwechsel werden nicht von wenigen oktroyiert, sie entstehen von unten, indem viele Einzelne ein Beispiel setzen und diese Veränderung leben und in die Tat umsetzen. Darum geht es in diesem Buch.
Das Scheitern der großen Ideologien des 20. Jahrhunderts – des ungezügelten Kapitalismus ebenso wie des staatszentrierten Sozialismus – lässt uns für das kommende Jahrhundert nur eine Alternative, wenn die Menschheit die Klima-, Hunger- und Finanzkrisen überleben soll: eine gemeinwohlorientierte ökologische Gesellschaft. Diese hat mit den alten zentralistischen Sozialismusvorstellungen so wenig zu tun wie mit einer von marodierendem Finanzkapital abhängigen Weltwirtschaft. Ihre sich abzeichnenden Grundrisse zeigen: Ihr zentrales Paradigma ist ein Gemeinwohl, das die Ideologie ewigen Wirtschaftswachstums durch Gemeinwohl-Bilanzen und Bruttosozialglück ersetzt. Sie ist weitgehend dezentral organisiert, sie fördert regionale Autonomie und die freiheitliche Selbstbestimmung der Menschen, sie behandelt die der ganzen Menschheit gehörenden Gemeingüter Wasser, Boden, Luft, Pfl anzen und Tiere oder auch Wissen, Sprache und Kultur mit Fürsorge.
In einer gemeinwohlorientierten Gesellschaft werden kontraproduktive Machthierarchien zunehmend durch Selbstorganisation und freiwillige Kooperation von Gleichberechtigten ersetzt. In ihrer Konzentration auf die konsequente ökologische Nutzung von Energie- und Stoffströmen vor Ort beruht sie auf dem Subsidiaritätsprinzip – im Zweifel für die kleinteilige Struktur und nicht den Weltmarkt –, und dennoch ist sie weltoffen und per Internet mit dem ganzen Globus verbunden und der ganzen Welt verpfl ichtet. Denn in dieser globalisierten Welt ist auch das kleinste Dorf von dem betroffen, was die Großen beschließen und umsetzen.
Dieses Buch gibt also Anstöße und Anregungen zu Veränderungen, die sich in vielen Bereichen bereits abzeichnen: in den Debatten über Common Goods oder über das Grundeinkommen, in den dezentralen erneuerbaren Energien, in der Re-Regionalisierung der Wirtschaft und der Re-Kommunalisierung der lokalen Grundversorgung, in den Ideen über Bruttosozialglück statt Bruttosozialprodukt, in der bis in die Naturwissenschaften reichenden Rückbesinnung auf Kooperation statt Konkurrenz. Nach mehr als 100 Jahren ideologischem Darwinismus und einseitiger Fixierung auf das »Überleben des Stärkeren « zeichnen sich auch hier neue Einsichten ab: Die Evolution ist weniger dem Kampf ums Dasein geschuldet, sondern den Fähigkeiten zu Vertrauensbildung, Kooperation und gegenseitiger Hilfe. Ohne sie können sich auch unsere heutigen Gesellschaften nicht weiterentwickeln. Es sind dieselben Werte, auf denen die neue Gemeinwohl-Ökonomie beruht, die auch unsere Beziehungen gelingen lassen. Und gelingende Beziehungen – nicht nur in der Liebe, sondern auch bei der Arbeit, unter Freundinnen und Freunden, in der Nachbarschaft, in den verschiedenen Formen von Vergemeinschaftung – sind das, was Menschen am glücklichsten macht.
In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihnen die Lektüre dieses Buches ein Quentchen Glück beschert – denn auch das weiß man heute dank der Hirnforschung: Das Gefühl, etwas verstanden und durchdrungen zu haben und schließlich in Handlung umzusetzen, kann eine Menge Glückshormone freisetzen. Man erfährt sich als eine Person, die tätig eine Veränderung bewirkt und dafür Anerkennung erhält.
Ines Pohl ist seit 2009 Chefredakteurin der taz. Die studierte Germanistin arbeitete zuvor als freie Journalistin, Ressortleiterin Politik der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen und Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin