27.6.14-18.1.15 Broken. Slapstick…

27.6.14-18.1.15 Broken. Slapstick…

27. Juni 2014 – 18. Januar 2015 Broken. Slapstick, Comedy und schwarzer Humor. Sammlung Goetz im Haus der Kunst
Seit Frühjahr 2011 zeigt das Haus der Kunst im dafür hergerichteten ehemaligen Luftschutzkeller jährlich zwei Ausstellungen von Medienkunst aus der Sammlung Goetz, die abwechselnd von Haus der Kunst und Sammlung Goetz kuratiert werden. Teil 7 dieser Kooperation ist dem Thema Slapstick, Comedy und schwarzem Humor gewidmet – in der Film- und Unterhaltungsindustrie beliebte Genres, um ungestraft über das Missgeschick von anderen zu lachen. Humor wirkt psychisch entlastend. Jedoch können dabei politische und ethische Überzeugungen sowie religiöse Gefühle verletzt werden. Die Ausstellung versammelt 15 Arbeiten, die diese Grenze ausloten und zum Teil bewusst überschreiten. 
Slapstick bezeichnet eine spezielle Form der Filmkomödie, die ohne Worte auskommt. Der Zuschauer lacht über körperbezogene Aktionen bzw. Missgeschicke, wobei die geschaffene Situation weitgehend frei ist von moralischem Gehalt. Der Stuntman in Julian Rosefeldt’s „Trilogy of Failure“ verrichtet im häuslichen Ambiente Tätigkeiten wie Frühstück zubereiten und Krümel wegkehren; jedoch betritt er die Szene von oben, mit dem für seinen Beruf typischen Sprung durch die Decke. Er übersteht dies ohne jeden Schaden und klopft sich lässig den Mauerstaub vom Ärmel. Die Doppelprojektion zeigt einen in ewiger Wiederholung gefangenen Sisyphos, der mit seinen Fitnessübungen die gesamte Einrichtung samt Mauern zerstört, um sie anschließend sorgfältig aufzuräumen bzw. zu reparieren.
Ein Klassiker im Kanon der körperlichen Missgeschicke ist das Stolpern. Francis Alÿs zeigt eine Bewegungsabfolge, bei der ein über die Straße rennender Hund immer wieder denselben Mann zu Fall bringt, aus verschiedenen Blickwinkeln: aus Bodenhöhe, vom Fenster im ersten Stock, frontal, von diagonal gegenüber, aus der Perspektive des Hundes, und der von CCTV. Das Ende der Szene ist jedes Mal gleich: Der Kunstkritiker Cuauhtémoc Medina läuft auf die Straße und imitiert mit Händeklatschen eine Filmklappe. Er fungiert als augenzwinkernder Hinweis, dass das Thema einer künstlerischen Arbeit nicht würdig ist, weil es banal und als Déjà-vu oft dagewesen ist.
Während der Stolpernde bei Francis Alÿs sofort wieder aufsteht und weitergeht, zeigt Paul Pfeiffer Fußballspieler, für die der Zusammenstoß mit einem Gegenspieler Folgen hat: Sie stürzen, bleiben auf dem Rasen liegen und krümmen sich vor Schmerzen. Der Gegenspieler ist aus den Szenen herausgeschnitten, so dass die Fallbewegung des Verletzten bizarr wirkt. Der Titel der Arbeit, „Caryatid“, ist eine Metapher: Die Darsteller tragen wie die Karyatiden in der griechischen Architektur eine Last, unter der sie jedoch, anders als die Karyatiden, zusammenzubrechen drohen. Für den Zuschauer stellt sich die moralisch gefärbte Frage, ob er über solche Szenen noch lachen darf oder nicht.
Auch der beliebte Film „Der Lauf der Dinge“ von Fischli & Weiss über eine inszenierte Kettenreaktion von Objekten ist Slapstick. Die Gegenstände sind präzise angeordnet, so dass sie in einem bestimmten Moment umfallen, rollen, gleiten, ihren Inhalt verspritzen o.Ä. und durch Anstupsen eines nächsten Gegenstands die Kettenreaktion in Fluss halten. Der Zuschauer erkennt Situationen aus dem Alltag wieder, in denen Objekte ein Eigenleben entfalten, allerdings gegen seinen Willen. Die Komik entsteht auch dadurch, dass das, was er normalerweise als feindliche Tücke empfindet, hier ausdrücklich gewünscht und mit großem Aufwand herbeigeführt ist.
Als Comedy kann John Bock’s „Gute Stube“ gelten. Das Instrument, an dem John Bock sich abmüht, wird im Abspann „Piano“ genannt. Es besteht aus drei Eimern, einer Schüssel und einem Topf, die mit der Öffnung nach unten an einem hölzernen Tastenarm befestigt sind. John Bock möchte auf diesem grob gefertigten Piano nun eine Fuge zu Gehör bringen und führt dabei ein Selbstgespräch. Sein Anspruch „Die Fuge muss sich einfügen in eine Mulde, und das kann man nur mit einer neuen Komposition!“ erweist sich als nicht erfüllbar und erzeugt Frust, der in unflätiger Selbstbeschimpfung gipfelt. Der musikalische Vortrag ist akustisch und optisch nicht ohne Reiz: ein Zwitter aus Geräusch und Klang, aus Percussion, Tasteninstrument und künstlerischer Performance.
Arbeiten wie „First“ von Olaf Breuning oder auch „Hungry Hungry Hippoes“ von Nathalie Djurberg erweitern die Werkauswahl um schwarzen Humor. Sie zeigen Begegnungen, die nur für einige der Beteiligten unterhaltsam sind. Breuning filmt fünf junge Männer, die eine aus Langeweile geborene Spritztour unternehmen, einen Jungen am Straßenrand festhalten, ausziehen, mit Golfschlägern bedrohen und über ein Feld davonjagen. Das Ereignis berührt die Grenze zur Körperverletzung, und überschreitet die zur seelischen Misshandlung. Ähnlich treten bei Nathalie Djurberg drei hellhäutige Puppen mit Fettwülsten und roten Mündern auf, die zum Zeitvertreib ein kleines dunkelhäutiges Kind zärtlich knuddeln, dabei aber zu zerquetschen drohen. Durch die Untermalung mit Glucker- und Furzlauten steigert sich das zwischen Zuwendung und Missbrauch angesiedelte Geschehen ins Groteske. Diese Art Humor lebt von Grausamkeit und Unterdrückung und fordert vom Zuschauer eine aktive Haltung: zu entscheiden, bis wohin er sich von der Komik angezogen fühlt und wann er sich wegen der Grausamkeit innerlich abwendet. Tabubrüche – hier die Gewalt gegenüber Wehrlosen – sind eine beliebte Strategie in der bildenden Kunst, um den Betrachter emotional zu berühren und auf diese Weise an gesellschaftlich relevante Fragen zu rühren.
 
Das Lachen bleibt einem im Halse stecken und wandelt sich in Bestürzung oder Mitgefühl, wenn andere Menschen bloß gestellt werden oder zu Schaden kommen. So auch bei der titelgebenden Videoinstallation „Broken“ von Tony Oursler. Sie zeigt eine männliche Puppe, deren Kopf zwischen Stühlen eingeklemmt ist. Die Situation wirkt jedoch lebensecht, zumal auf die Puppe das gequälte Mienenspiel eines lebendigen Menschen projiziert wird. Es liegt nicht nahe, über die Zwangslage, in die er geraten ist, zu lachen. Womöglich schließen Gelächter und Mitgefühl einander aus.
 
Kuratorinnen sind Ingvild Goetz und Cornelia Gockel.
Mit
Pawel Althamer, Cardinal, 1991
Francis Alÿs, Choques, 2005-2006
John Bock, Gute Stube, 2006
Olaf Breuning, First, 2003
Nathalie Djurberg, Hungry Hungry Hippoes, 2007
Peter Fischli & David Weiss, Der Lauf der Dinge, 1986/1987
Rodney Graham, A Reverie Interrupted by the Police, 2003 
Mike Kelley, The Banana Man, 1982
Jochen Kuhn, Die Beichte, 1990
Aernout Mik, Garage, 1998
Martin Mirko, Eine Rede, 2005
Tony Oursler, Broken, 1994
Paul Pfeiffer, Caryatid (Red, Yellow, Blue), 2008
Robin Rhode, Color Chart, 2004-2006 
Julian Rosefeldt, Stunned Man (Trilogy of Failure)/ Part II, 2004/2005
Wir danken unseren Gesellschaftern für die jährliche Unterstützung des Programms: Freistaat Bayern, Josef Schörghuber Stiftung, Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst e.V.
Bildmaterial steht unter www.hausderkunst.de/presse/info.htm zur Verfügung.
Bitte wenden Sie sich bei weiteren Fragen an
Elena Heitsch

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