21.10.17-08.04.18 SETH PRICE. SOCIAL SYNTHETIC
Das Museum Brandhorst präsentiert die international erste Überblicksausstellung des US-amerikanischen Künstlers Seth Price (*1973). Die mehr als 100 Werke umfassende Ausstellung zeigt Skulpturen, Filme, Fotografien, Zeichnungen, Malerei, Videos, Kleider und Textilien, Web-Design, Musik und Dichtung. Price dringt seit seinen künstlerischen Anfängen programmatisch in Territorien jenseits der bildenden Kunst vor. Er greift die Produktions- und Vertriebsformen der Musikindustrie, der Modewelt und des Literaturbetriebs auf und nutzt ihre Dynamiken für seine Kunst. Dabei beschäftigt er sich mit den fundamentalen Veränderungen der visuellen Kultur, die mit der flächendeckenden Etablierung digitaler Medien der jüngsten Gegenwart einhergehen.
SA 21.10.2017 | 19.00 | Museum Brandhorst
ARTIST TALK: SETH PRICE IM GESPRÄCH MIT RITA KERSTING
Zum Auftakt der Ausstellung „Seth Price – Social Synthetic“ findet ein Gespräch zwischen dem Künstler und Rita Kersting im Museum Brandhorst statt.
Seit seinen künstlerischen Anfängen in der Filmbranche dringt Price in Territorien jenseits der bildenden Kunst vor. Er greift die Produktions- und Vertriebsformen der Musikindustrie, der Modewelt und des Literaturbetriebs auf und nutzt ihre Dynamiken für seine Kunst. Dabei beschäftigt er sich mit den fundamentalen Veränderungen der visuellen Kultur, die mit der flächendeckenden Etablierung digitaler Medien in der jüngsten Gegenwart einhergehen.
Im Gespräch mit Rita Kersting wird Seth Price Einblicke in seinen künstlerischen Werdegang und die Konzeption seiner retrospektiv angelegten Ausstellung geben: Angefangen mit den frühen Videos, über die Werkserien der „Vacuum Forms“, „Mylar Sculptures“, „Silhouettes“, „Folklore U.S.“ bis hin zu seinen neusten Leuchtkästen, in denen Price mit einer computergesteuerten Roboterkamera tausende Fotos menschlicher Haut aufnimmt, die dann unter der Verwendung einer Satellitensoftware zu einem einzigen Bild zusammengefügt wurden.
Rita Kersting ist stellv. Direktorin am Ludwig Museum in Köln. Zuvor war sie Kuratorin für zeitgenössische Kunst im Israel Museum Jerusalem (2012-16) und Direktorin des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen (2001-06).
Im Anschluss wird das Gespräch für Fragen des Publikums geöffnet.
Die Veranstaltung findet in englischer Sprache statt. Der Eintritt ist kostenfrei.
Aus Sicherheitsgründen ist im Museum Brandhorst nur eine begrenzte Zahl an Besucherinnen und Besuchern zulässig. Eventuelle Wartezeiten am Einlass bitten wir daher zu entschuldigen.
Seth Price gehört jener Generation an, die noch vor der Etablierung des Internets geboren wurde und seine Ausbreitung in allen Schritten hautnah miterlebt hat: die ersten Computerspiele und -programme der 1980er-Jahre, die demonstrativ ihre pixeligen Ästhetiken zur Schau stellten; das Internet als Ort politischer Utopien der 1990er-Jahre, die in der neuen Technologie demokratisierende Potentiale vermuteten; und schließlich die alle Lebensbereiche durchdringende Digitalisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch Web 2.0 und Smartphone.
Die Digitalisierung fungiert ab 2001 zunehmend als Katalysator aufziehender gesellschaftlicher Krisen, vom „War on Terror“, der auch als Krieg der Bilder geführt wurde, bis zu den Krisen des Finanzsystems. Die künstlerische Praxis von Seth Price entwickelt sich entlang dieser Konflikte und der Begehrensmuster, die das Leben in einer globalen neoliberalen Gesellschaft antreiben.
Eines der zentralen Themen in Prices Arbeiten ist der bedrohte Status des Subjekts. Angesichts der dramatischen Umwälzungen einer mediatisierten Gegenwart zieht sich dieses Selbst zunehmend an seine Oberflächen zurück oder scheint in seiner Abwesenheit auf: die „Vacuum Forms“ (2004-12) zeigen in Kunststoff abgeformte Körperteile, die „Silhouettes“ (2007-09) greifen digitale Aufnahmen aus dem Internet auf, die intime Gesten menschlicher Verständigung – wie der Handschlag oder Kuss – nur noch als Negativraum fassbar werden lassen, und die im Untergeschoss des Museums Brandhorst gezeigten Leuchtkästen (2016-17) basieren auf tausenden Fotografien menschlicher Haut, die unter der Verwendung einer Satellitensoftware zu einem einzigen Bild zusammengefügt wurden. Einige der Werke besitzen keine feste Form, sondern können je nach Raum und Kontext unterschiedlich installiert werden: Geknickt, gefaltet, ausgerollt oder zerknittert werden sie an Wände, Decke oder auf dem Boden platziert. Sie spielen nicht zuletzt auf die Flexibilität und Ortlosigkeit der digital zirkulierenden Bilddateien – im Falle der „Mylar Sculptures“ (2004-08) handelt es sich um Standbilder aus dschihadistischen Propagandavideos – an.
Die in der Ausstellung gezeigten Werke vermitteln ein Bild der emotionalen Landschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts. Wir sehen Fleisch und Haut, kommerzielle Logos, Abfall und Trash, Mode und Design, Verpackungen, Horrorbilder, leuchtende Screens, Humor und Brutalität, Computerspiele und Luxusobjekte. Einzelne Arbeiten besitzen inzwischen einen geradezu ikonischen Status. In seinen „Vintage Bombers“ etwa reflektiert Price den Mechanismus ständiger Reproduktion und Umwertung im digitalen Zeitalter. Während des 1. Weltkriegs für Piloten entwickelt, wurde die Bomberjacke bald zum Emblem konkurrierender Identitätsmuster. Als Modeartikel wurde sie zum Aushängeschild von Subkulturen wie der Punk- und Skinheadszene. Später wurde sie zum Signet von Hetero- und für Homosexualität, und erlebt in den letzten Jahren ein Revival sowohl als Massenware wie als Haute Couture. Festgefroren in ein Objekt, der linke Ärmel hängt schlaff herab, zeigen die „Vintage Bombers“ die Hülle menschlicher Präsenz, die zunehmend von kommerziellen Interessen und gesellschaftlichen Vereinnahmungen bestimmt wird.
„Seth Price – Social Synthetic“ ist eine Kollaboration des Museums Brandhorst mit dem Stedelijk Museum Amsterdam, wo die Ausstellung vom 15. April bis 03. September 2017 zu sehen war. Die Ausstellung wurde kuratiert von Achim Hochdörfer, Tonio Kröner und Beatrix Ruf, Direktorin des Stedelijk Museum Amsterdam, in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler. Eine neue, eigens für die Ausstellung produzierte Werkserie schließt die im Jahr 2000 einsetzende Präsentation der vielseitigen und einflussreichen Praxis von Seth Price ab.
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog mit Text-Beiträgen von Cory Arcangel, Ed Halter, Achim Hochdörfer, Branden Joseph, John Kelsey, Michelle Kuo, Arianne Reines, und einem Gespräch zwischen Rachel Kushner und Laura Owens erschienen (356 Seiten, ca. 400 farbige Abbildungen).
Die Ausstellung wird gefördert durch PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e.V. (mit privater Unterstützung)