14.7.-9.9.12 The Imaginary Museum

14.7.-9.9.12 The Imaginary Museum

The Imaginary Museum  14.7.-9.9.12
In der Ausstellung The Imaginary Museum (Das imaginäre Museum) verknüpft der Kunstverein München Arbeiten junger Künstler mit einer ortsspezifischen Installation antiker Gipsabgüsse aus dem Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke in München. Präsentiert werden komplexe Rauminstallationen von Mark Leckey (UK, *1964, Gewinner des Turner-Preises 2008), Oliver Laric (AT, *1981) und James Richards (UK, *1983) sowie Videoarbeiten und Fotoserien von Eric Bell (CA, *1985) & Kristoffer Frick (DE, *1985), Sean Snyder (USA, *1972), Becky Beasley (UK, *1975), Simon Martin (UK, *1965) und Ed Atkins (UK, *1982), wie auch eine Performance on Jimmy Robert (GP, *1975) zur Finissage am 9.9.2012. (Foto: „Archaischer Saal“ im Museum für Abgüsse Klassiscer Bildwerke München. Foto: Kaufmann, 1932) 
Die Ausstellung wird von einem vielseitigen Rahmenprogramm begleitet, unter anderem mit zwei Filmabenden, die in Zusammenarbeit mit dem Werkstattkino München (Fraunhoferstr. 9) entstanden und von Simon Martin und Ed Atkins (Screening am 14. Juli, 18h) sowie von James Richards (Screening am 21. Juli, 18h) kuratiert wurden.
Bei der ortsspezifischen Installation mit den Gipsabgüssen handelt es sich um die Rekonstruktion nach einer Fotografie, die 1932 in einem der Räume des heutigen Kunstvereins München aufgenommen wurde. Damals fungierte er als Ausstellungsraum der Gipsabgusssammlung und präsentierte die Kopien antiker Statuen.
Ganz beiläufig verschränkte der Fotograf damit zwei Arten der Reproduktion miteinander – Abgussverfahren und Fotografie –, die im 20. Jahrhundert, dieser von der Moderne geprägten Ära, nie so recht zusammenfinden wollten. Durch das anachronistische Moment, das solche Sammlungen auszeichnete, und die Wertlosigkeit, die dem Material innewohnt, führte die Gipskopie innerhalb des kritischen Diskurses nur ein Schattendasein. Eine genauere Untersuchung dieses Fotos der Ausstellungsansicht von 1932 eröffnet uns jetzt aber die Möglichkeit, Walter Benjamins Aussage, wonach der Fotografie im „Zeitalter der mechanischen Reproduzierbarkeit“ eine Monopolstellung zugeschrieben wurde, kritisch zu hinterfragen. Dabei tritt die Gipsabgusssammlung als ein Phänomen in Erscheinung, das lange vor der Moderne den unmittelbaren Bezug zwischen Autor und Werk aufgehoben hat. Die fotografische Ausstellungsansicht gibt die Kopien der griechischen Statuen so wieder, dass sie die Aura ihrer Originalität noch in sich tragen – insbesondere deshalb, weil sie gesammelt, in den Kontext einer Institution gerückt und ausgestellt wurden. The Imaginary Museum knüpft hier durch eine Rekonstruktion der historischen Ausstellungsansicht am originalen Ort an, verstärkt den komplexen Charakter der Thematik aber dahingehend, dass nunmehr neuere Abgüsse der Kopien gezeigt werden. Die originale Abgusssammlung war nämlich während und nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört worden.
Die Fragestellungen, die mit einer solch anhaltenden Aneignung von Aura verbunden sind, beschäftigen auch eine jüngere Generation bildender Künstler. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sie den institutionellen Praktiken nahe kommen, die mit dem Themenkomplex Sammlung, Ausstellung und Forschung verbunden sind, wenn sie die breit gefächerten Quellen, aus denen sie schöpfen, in ihre ästhetische Produktion überführen. Gleichwohl bleibt die historische Stellung der Gipsabgusssammlungen „umstritten“, wie der Kunsthistoriker Sven Lütticken feststellt, „und eben deshalb interessant“. In seinem eigens für die Ausstellung publizierten Text Das imaginäre Museum der Gipsabgüsse unterzieht Lütticken den wichtigen Einfluss, den Abgusssammlungen auf die Vorgehensweisen zeitgenössischer Künstler hinsichtlich ihres Umgangs mit Referenzen auf Bildquellen sowie deren Reproduktionen ausüben, einer Neubewertung. Um seine These zu untermauern, zieht Lütticken unter anderem André Malraux’ Buch Das imaginäre Museum heran (dessen englische Übersetzung The Museum Without Walls – Das Museum ohne Mauern lautete). Dieser französische Politiker und Autor hatte schon in den 1930er Jahren vorausgesagt, dass das „echte“ Museum der Originale alsbald zunehmend durch das imaginäre Museum der Fotografie verdrängt werden würde.
Wenn man sich heutige Museumssammlungen vor Augen führt, zeigt sich, dass diese Entwicklung nicht mehr nur noch auf ein Medium beschränkt ist, sondern sich inzwischen auf Skulpturen, aber auch auf das Internet und auf Publikationen ausgeweitet hat. Heute ist es längst an der Tagesordnung, dass ein Kunstwerk auch dann gesammelt wird, wenn es als Edition produziert wurde. Und jeder, der eine Ausstellungsansicht im Internet angeschaut hat, kann inzwischen behaupten, die Ausstellung gesehen zu haben.
Die zeitgenössischen Werke, die für die Ausstellung The Imaginary Museum ausgewählt wurden, knüpfen an diese Überlegungen an. Die Quellen der ausgewählten Arbeiten nämlich stammen von anderen Autoren, kommen aus Filmen, aus dem Internet, der Literatur oder dem Design (Becky Beasly, James Richards, Simon Martin, Eric Bell & Kristoffer Frick). Andere Arbeiten thematisieren die institutionellen und politischen Systeme, denen die Kontrolle über Originalität und Wert obliegt – also das Sammlungs- und Ausstellungswesen (Mark Leckey, Sean Snyder, Ed Atkins), oder widmen sich einer spielerischen Umverteilung der politischen Symbole nationaler Identität (Oliver Laric). Die unmittelbare Beziehung zwischen diesen Arbeiten und den Gipsabgüssen erschließt sich allerdings nur dank der Tatsache, dass hier vor- und postmoderne Haltungen zum Thema Darstellung faktisch aufeinander treffen. The Imaginary Museum versteht sich deshalb als erste Annäherung an eine Untersuchung über die Bedeutung von Gipsabgusssammlungen.

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