Ein Gläschen Rotwein für die Gesundheit?
Anke Brodmerkel / 14. April 2023
Eine Meta-Analyse beerdigt Mythos – geringe Mengen Alkohol verlängern das Leben nicht!
Ein Gläschen Alkohol am Tag galt lange Zeit als durchaus gesund. Zuletzt kamen an dieser Hypothese jedoch immer wieder Zweifel auf. Eine kürzlich in JAMA Network Open veröffentlichte Metaanalyse, in die Daten von mehr als 4,8 Millionen Menschen eingeflossen sind, zeigt nun, dass an der schönen Theorie vielleicht tatsächlich wenig Wahres dran ist: Wer täglich geringe Mengen Alkohol trinkt, beeinflusst dadurch sein Sterberisiko nicht, lautet das ernüchternde Fazit der Forscher um Dr. Jinhui Zhao vom Canadian Institute for Substance Use Research der University of Victoria [1].
Bei Frauen, die im Mittel pro Tag 25 g Alkohol oder mehr zu sich nahmen, fanden Zhao und seine Kollegen sogar ein spürbar erhöhtes Risiko für die Gesamtmortalität. Bei Männern lag diese Schwelle erst bei 45 g.
25 g Alkohol sind beispielsweise in rund 0,25 l Wein oder 0,6 l Bier enthalten.
45 g Alkohol werden mit einem knappen halben Liter Wein oder gut einem Liter Bier aufgenommen – oder auch mit 7 kleinen Gläschen (0,14 l) Schnaps, wenn dieser einen Alkoholgehalt von 40% aufweist.
Geringe Mengen schaden den meisten Menschen nicht
„Zu der Frage, ob Alkohol in geringen Mengen gut für die Gesundheit ist, sind natürlich schon viele Studien und Metaanalysen erschienen“, sagt Prof. Dr. Christoph Sarrazin, Chefarzt der Medizinischen Klinik II und Leiter des Leberzentrums am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), im Gespräch mit Medscape. „Die meisten Untersuchungen haben tatsächlich die berühmte J-Kurve gefunden: Sie besagt, dass geringe Mengen Alkohol mit einem längeren Leben assoziiert sind und erst größere Mengen das Leben verkürzen.“
„In der aktuellen Analyse konnte die J-Kurve nicht beobachtet werden“, berichtet Sarrazin. Das liege seines Erachtens vor allem daran, dass die Forscher um Zhao bei ihren Berechnungen bestimmte Einflussfaktoren berücksichtigt und mathematisch korrigiert hätten, die in früheren Publikationen womöglich zu Verzerrungen geführt hätten. So sei die Vergleichsgruppe der Abstinenzler in vielen der herangezogenen Studien keine homogene Gruppe gewesen und habe beispielsweise auch ehemalige oder Gelegenheitstrinker mit eingeschlossen.
Die Veröffentlichung verändert … wenig an der Grundaussage, dass geringe Mengen Alkohol am Tag für die meisten Menschen zumindest nicht schädlich sind, größere Mengen aber in jedem Fall negative gesundheitliche Effekte haben. Prof. Dr. Christoph Sarrazin
„Sehr viele der ehemaligen Trinker haben aber vermutlich aus gesundheitlichen Gründen aufgehört, Alkohol zu konsumieren – wegen einer Krankheit, einer Prädisposition dafür oder weil sie schlechte Erfahrungen mit Alkohol gemacht haben“, sagt Sarrazin. Und insofern sei es sinnvoll, so etwas in den statistischen Analysen zu berücksichtigen.
„Dennoch ändert die Veröffentlichung von Zhao und seinem Team für mich wenig an der Grundaussage, dass geringe Mengen Alkohol am Tag für die meisten Menschen zumindest nicht schädlich sind, größere Mengen aber in jedem Fall negative gesundheitliche Effekte haben“, sagt Sarrazin. „Geringe Mengen bedeuten für Frauen im Mittel zwischen 10 und 20 Gramm am Tag, für Männer 20 bis 40 Gramm.“
Frauen sind deutlich anfälliger für die negativen Effekte
Das Team um Zhao wertete für seine Analyse 107 Kohortenstudien zum Thema Alkoholkonsum und Gesamtmortalität aus, die zwischen 1980 und 2021 veröffentlicht worden waren. An den Studien hatten insgesamt 4.838.825 Probanden mit einem mittleren Alter von 56 Jahren teilgenommen.
425.564 der Teilnehmer starben im Beobachtungszeitraum der Studien. Die Forscher ermittelten das relative Risiko für einen vorzeitigen Tod von Menschen mit gelegentlichem, geringem, mittlerem oder hohem Alkoholkonsum im Vergleich zu Lebenszeit-Nichttrinkern – zunächst für alle Probanden gemeinsam und dann getrennt nach dem Geschlecht und dem mittleren Alter der untersuchten Kohorten (bis 55 Jahre bzw. 56 Jahre und älter). Wie die Forscher berichten, fand sich weder bei Probanden mit gelegentlichem Alkoholkonsum (im Mittel bis zu 1,2 g Alkohol am Tag) noch bei Probanden mit geringem Konsum (im Mittel 1,3 bis 24 g Alkohol am Tag) ein signifikant verringertes Risiko für die Gesamtmortalität im Vergleich zu Menschen, die in ihrem Leben stets auf Alkohol verzichtet hatten.
Bei Menschen, die im Mittel 25 bis 44 g Alkohol am Tag tranken, also einen mittleren Alkoholkonsum aufwiesen, fand sich nur bei den Frauen, nicht aber bei den Männern ein signifikant erhöhtes Risiko für einen vorzeitigen Tod.
Bei einem hohen Alkoholkonsum (im Mittel 45 bis 64 g am Tag) war das Risiko bei beiden Geschlechtern signifikant erhöht. Das relative Risiko beziffern die Forscher mit 1,19. Lag die täglich konsumierte Alkoholmenge gar bei 65 oder mehr Gramm, erhöhte sich das relative Risiko auf 1,35. Wurden allein die Frauen betrachtet, war das Sterberisiko derjenigen, die einen mittleren oder hohen Alkoholkonsum aufwiesen, im Vergleich zu den Lebenszeit- Nichttrinkerinnen um den Faktor 1,22 erhöht.
Das Alter spielt anscheinend keine große Rolle
Während das Geschlecht demnach einen recht großen Einfluss auf die gesundheitlichen Effekte von Alkohol hat, fanden die Forscher um Zhao zumindest in den bereinigten Analysen nur geringe Unterschiede, wenn sie das Alter der Probanden betrachteten. Bei jüngeren Kohorten, die bis ins hohe Alter verfolgt wurden, konnten sie gar keinen positiven Einfluss eines geringen Alkoholkonsums auf die Lebenserwartung ausmachen.
Bei älteren Kohorten habe man zwar einen leichten schützenden Effekt beobachten können, berichten Zhao und sein Team. Allerdings, so geben die Forscher zu bedenken, sei bei diesen Probanden die Wahrscheinlichkeit einer lebenslangen Selektionsverzerrung größer. Die schlechte Gesundheit der ehemaligen Trinker würde demnach die aktuellen Konsumenten von Alkohol im Vergleich gesünder wirken lassen, als sie es tatsächlich sind. Zudem sind ältere Probanden nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.
Künftige Längsschnittstudien zu dem Thema sollten versuchen, lebenslange Selektionsverzerrungen zu minimieren. Dr. Jinhui Zhao und Kollegen
„Künftige Längsschnittstudien zu dem Thema sollten versuchen, lebenslange Selektionsverzerrungen zu minimieren, indem ehemalige und gelegentliche Trinker nicht in die Referenzgruppe aufgenommen werden und indem jüngere Kohorten – also Altersgruppen, die repräsentativer für Trinker in der Allgemeinbevölkerung sind – zu Beginn der Studie verwendet werden“, fordern die Wissenschaftler in ihrem Fazit.
Auch die Gene bestimmen, wie gut Alkohol vertragen wird
Der deutsche Mediziner Sarrazin gibt noch einen weiteren Aspekt zu bedenken: „In allen bisherigen Studien ist die genetische Ausstattung der Probanden nicht berücksichtigt worden“, sagt er. „Dabei kennen wir inzwischen mehrere Gene, von denen 3 bereits sehr gut untersucht sind, die darüber mit entscheiden, wie gut die Leber den Alkohol verträgt.“ Wie empfindlich Menschen auf Alkohol reagieren, sei somit individuell sehr unterschiedlich. Auch wisse man zum Beispiel von Asiaten, dass sie Alkohol deutlich schlechter vertragen als Europäer. „Sie produzieren geringere Mengen des Enzyms Alkoholdehydrogenase, die den Alkohol in der Leber abbaut“, erklärt Sarrazin.
In allen bisherigen Studien ist die genetische Ausstattung der Probanden nicht berücksichtigt worden. Dabei kennen wir inzwischen mehrere Gene, …. die darüber mit entscheiden, wie gut die Leber den Alkohol verträgt. Prof. Dr. Christoph Sarrazin
Daher müsse man mit Pauschalaussagen vorsichtig sein. „Ein Glas Wein am Abend kann zum Beispiel bei vielen Menschen stressabbauend wirken – und somit zwar vielleicht keine direkten, aber indirekte positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben“, sagt Sarrazin. Geringe Mengen Alkohol seien zwar nicht risikofrei, aber risikoarm. Und ob sie womöglich sogar einen leichten positiven Effekt haben könnten, sei individuell sicherlich unterschiedlich.
Ein Glas Wein am Abend kann zum Beispiel bei vielen Menschen stressabbauend wirken – und somit … indirekte positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Prof. Dr. Christoph Sarrazin
Sarrazins Empfehlungen lauten daher wie folgt: Alkoholische Getränke sind zum Genuss und nicht zum Durstlöschen da. Sie sollten am besten nicht auf nüchternen Magen, sondern gemeinsam mit einer Mahlzeit konsumiert werden. Und nach einem Abend mit zu viel Alkohol sollte man der Leber und dem gesamten Körper ein paar alkoholfreie Tage Zeit geben, um sich zu regenerieren.
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