Buch: Unwahrscheinliche Pilgerreise

Buch: Unwahrscheinliche Pilgerreise

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2012 Krüger (Fischer Verlage)
Rachel Joyce

Die unwahrscheinliche PILGERREISE DES HAROLD FRY

Roman. 18,99 € (D), 19,60 € (A), 27,50 sFr, Hardcover, ISBN: 978-3-8105-1079-2 (auch als e-Book). Auf der Longlist des Booker-Prize 2012 Hineinblättern
Rezension von Rosemarie Elsner: »Versagen war das Einzige, worin ich richtig gut war«, bekennt der Rentner Harold Fry, der Protagonist dieses Romans, auf Seite 305. Eine späte und schmerzliche Einsicht, zu der er erst durch einen Brief seiner früheren Arbeitskollegin Queenie gelangt, die in einem Hospiz am anderen Ende Englands im letzten Stadium ihrer Krebserkrankung auf den Tod wartet. Eigentlich will Harold ihr nur ein paar aufmunternde Zeilen schicken, merkt aber auf dem Weg zum Briefkasten, dass das zu wenig ist und er sich einmal nicht aus der Verantwortung stehlen will. Und läuft los in Segelschuhen und ohne Wanderausrüstung, unbeirrt und untrainiert: zu Fuß den 1000 km langen Weg von Kingsbridge in Südengland über Exeter, Bath, Sheffield, Leeds … nach Berwick upon Tweed an der Grenze zu Schottland, weil er hofft, mit seiner »Pilgerreise« Queenie am Leben erhalten zu können.
In den 87 Tagen, die er dafür braucht, durchläuft Harold nicht nur das Land, sondern auch sein ganzes vergangenes Leben, und landet – wie sollte es anders sein – vor allem bei sich selbst. Wandelt sich vom unauffälligen »loser« zum stillen Zauderer und Zweifler, aber auch zum gütigen Lehrer, zum tapferen Abenteurer und charismatischen Helden.
Der ungewöhnliche Fußmarsch mit all seinen Herausforderungen lässt sämtliche versteckten Facetten seiner Persönlichkeit wach werden und Harold auch seinen tiefen Schmerz empfinden, den er in all den Jahren stets auf kleiner Flamme gehalten hat. Ein richtiger Versager war Harold dabei nie, eher das, was die Therapeuten als »Vermeidungstäter« bezeichnen würden: einen, der etwas tut, indem er nichts tut. Und in der Folge hilflos und schicksalsergeben zusehen muss, wie ihm alles entgleitet. Wie Ehefrau und Sohn sich immer mehr von ihm abwenden, sich ebenfalls in die Sprachlosigkeit verabschieden, nicht ohne ihm dabei die Schuld für ihr eigenes ohnmächtiges Versagen in die Schuhe zu schieben.
Diese anrührende Geschichte entbehrt auch nicht einiger bizarrer Momente, beispielsweise wenn die Medien von Harolds Pilgerreise Wind bekommen und dadurch eine ganze Schar selbsternannter Weltverbesserungsjünger sich Harolds Siegeszug anschließt und den Trip zur eigenen Selbstverwirklichung entfremdet. Vor allem aber bezeichnet die Story ein schleichendes Leiden unserer Zeit, das Symptom der Sprachlosigkeit, der unausgesprochenen Gefühle und Gedanken. Sie endet in einem stillen und beinahe sanften Happyend, dem »Prinzip Hoffnung«, gepaart mit Demut. Und hinterlässt beim Leser die tiefe Überzeugung: »Es ist nie zu spät, etwas zu ändern. Man muss es nur tun.«
Fazit: 378 Seiten einer »Gratwanderung«, bei der die Autorin vielleicht gelegentlich ins Sentimentale, nie aber ins Kitschige abgleitet. Sie den Leser aber sacht zum ureigenen Versagen hin führt, das jeder schon einmal in sich verspürt hat. 87 Tage, die man lesetechnisch locker in drei Tagen hinter sich bringt, und Harold und Ehefrau Maureen zum Schluss alles nur denkbar Gute für ihr weiteres neues Leben wünscht.

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