28.9.12-7.4.13 Open End – Goetz

28.9.12-7.4.13 Open End – Goetz

Yang Fudong Honey (mi), 2003 Still 1-Kanal-Videoinstallation (Farbe, Ton) 9’ 29’’Courtesy Sammlung Goetz)Open End. Sammlung Goetz im Haus der Kunst (28.09.2012 – 07.04.2013) „Open End“ ist die vierte Präsentation von Filmen und Videoarbeiten aus der Sammlung Goetz im Haus der Kunst. Die hierfür ausgewählten Werke von 14 namhaften Künstlern behandeln den Aspekt der offenen Erzählung – in visueller Hinsicht und was die Verwendung von Sprache betrifft. Wie im modernen und zeitgenössischen Roman, der eine sehr offene Form der literarischen Erzählung bildet, treten freiere Erzählformen an die Stelle der herkömmlichen, linear verlaufenden und auf einen Endpunkt ausgerichteten Handlung. Gemeinsam ist den Filmen außerdem, dass sie ein offenes Ende haben; auch dies deutet auf die Ähnlichkeiten hin zwischen Erzähltechniken des Romans und visuellen Strukturen zeitgenössischer Filminstallationen. (Bild: Yang Fudong Honey (mi), 2003 Still 1-Kanal-Videoinstallation (Farbe, Ton) 9’ 29’’Courtesy Sammlung Goetz)

In „House with Pool“ (Teresa Hubbard/Alexander Birchler, 2004) werden mehrere Handlungsstränge konsequent parallel geführt, ohne dass sie sich jemals berühren. Dabei ist nicht nur das Ende, sondern auch der Anfang der Erzählung offen. Und alles, was der Betrachter in eine bestimmte Reihenfolge bringt, um es zu deuten, bleibt bloße Vermutung. Das Warten einer Frau in einem gepflegten Haus, ein aus diesem Haus fliehendes und wieder zurückkehrendes Mädchen sowie der Gärtner, der ein totes Reh aus dem Swimmingpool birgt, bilden jeweils einen Handlungsstrang.
Sebastian Diaz Morales fügt sechs Episoden aneinander, die sich stark ähneln („The Man with the Bag“, 2004). In allen Episoden läuft ein Mann durch die karge, menschenleere Landschaft Patagoniens. Dabei hindert ihn der Sack, den er trägt, am Fortkommen. In jeder Episode stolpert er, verliert den Inhalt – mal sind es Knochen, mal Steine – und lässt den Sack sogar am Wegesrand liegen, um seinen Weg allerdings genau dort später fortzusetzen. Ein Canto Ostinato für zwei Klaviere und Geräusche des Windes bilden den Soundtrack. Die Bürde, die der Mann schultert und nie loswird, legt es nahe, ihn als modernen Sisyphus zu deuten, der zur ewigen Wiederholung einer vergeblichen Tätigkeit verdammt ist.
In „Journey into Fear“ (2001) mischt Stan Douglas die Schachtelerzählung mit Elementen des Thrillers. Der Film spielt auf einem Containerschiff. Die Lotsin will den Frachter pünktlich zum Zielhafen führen. Wegen eines Warentermingeschäfts, das nur bei verspäteter Ankunft Gewinn bringt, setzt der Frachtkontrolleur sie mit Schmeichelei, Bestechung und sogar Morddrohungen unter Druck. Das Script für den Film besteht aus mehreren Dialogvarianten, die in weitere Abschnitte unterteilt sind, so dass ein Computer nach dem Zufallsprinzip auswählen und insgesamt Hunderte verschiedene Varianten bilden kann. Einzelne Abschnitte der Handlung wiederholen sich also ständig und sind gleichzeitig leicht abgewandelt. Statt eine Haupterzählung voranzutreiben, stellt der Regisseur mit den unzähligen Variationen die Frage, in wie viele Abschnitte und Wiederholungen man eine Handlung zergliedern kann, damit sie noch als Erzählung wahrgenommen wird.
Wiederholung ist auch in „The Warriors of Beauty“ (Pierre Coulibeuf, 2002/06) ein wichtiges Stilmittel. Die 2-Kanal-Installation zeigt ein Hauptbild im Loop: einen nackten Mann, der mit ausgebreiteten Armen Richtung Decke springt und dabei jedes Mal zu Fall kommt. Auf der zweiten Leinwand wird eine Abfolge von Figuren gezeigt, die sich wie bei einer Drehscheibe wiederholt. Wieder haben die Handlungen weder Anfang noch Ende. Sie wirken diesmal jedoch abseitig bzw. surreal, weil auch weder Ziel noch Beweggrund zu erkennen sind: Ein Mann in Ritterrüstung reibt sich auf im Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner; eine Braut hastet suchend durch die Gänge einer Klosteranlage; aus dem Mund einer jungen Frau kriechen Käfer, usw. Alle scheinen von einem Dämon besessen, der ihnen die Bewegungen vorgibt. Der Handlungsraum, der sich entfaltet, ist choreografisch angelegt und vom Theater her gedacht. Doch hat das Treiben der gequält wirkenden Seelen auch Wurzeln in der Malerei und Literatur, die zurück bis zu den Höllenvisionen eines Dante Alighieri oder Hieronymus Bosch reichen. Es ist kein Zufall, dass der Drehort einer mittelalterlichen Klosteranlage ähnelt.
In der Literatur kann ein Text einen Subtext haben, der die „eigentliche“ Botschaft zwischen den Zeilen transportiert. „The Interview“ verdeutlicht das Verhältnis von Text und Subtext mit filmischen Mitteln. Der ‚Text‘ erzählt von Helen, einer alleinerziehenden Frau. Obwohl sie sich auf ein Vorstellungsgespräch vorbereitet, nimmt sie für eine Nacht eine Unbekannte, Shirley, bei sich auf, die an ihrer Tür klingelt und keine feste Bleibe hat. Die Kamera begleitet die Unterhaltung, zeigt die im Morgengrauen erwachte Shirley, und Helen auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch. Der Film endet mit einer Frontalaufnahme von ihrem ernsten Gesicht. Der Subtext reicht tiefer als die äußeren Ereignisse; er offenbart die Spiritualität, die in jeder alltäglichen Handlung wie etwa Teekochen verborgen ist und enthüllt das Innenleben der Figuren: ihre Unruhe, ihr Bedürfnis nach Achtung und ihre Fähigkeit zur Empathie. Zentrales Stilmittel dabei ist das Farbentiming: In ihrer Privatsphäre verleiht die Kamera den Protagonisten nur eine Andeutung von Farbe; bei der Berührung mit ihrem sozialen Umfeld dagegen erhöht sich der Farbanteil. Auch die meditative Kameraführung trägt dazu bei, die seelische Verfassung der Personen sehen und zeigen zu können.
Laurent Montaron und Clement Page tasten sich ebenfalls an das heran, was mit Worten nur schwer sagbar ist. Bei Clement Page geht es um die Trancezustände eines kleinen Jungen, bei dem sich eine kindliche Phobie vor weißen Wölfen festigt, die er in Kinderbüchern sieht. Der Film basiert auf Sigmund Freuds Fallstudie „Der Wolfsmann“. Bei Montaron kommt das Versagen von Sprache schon im Titel zum Ausdruck; der Film trägt den Titel „Balbvtio“, was auf Lateinisch „Stottern“ bedeutet. Ein Junge schießt Tauben in einer alten Kirche und wickelt einer dieser Tauben einen Zettel vom Bein. Den Text auf diesem Zettel übersetzt er mithilfe eines Wörterbuchs; der Sinn ist jedoch so deutlich – bzw. undeutlich – wie konkrete Poesie. Bei allem ist die Reihenfolge der Ereignisse so lose und hat so viele Brüche wie in einem Traum.
Auch die Beiträge von Isaac Julien und Emmanuelle Antille können als Traumtagebücher verstanden werden. Insgesamt zeigt diese Werkauswahl, dass der Filmregisseur bei der Wahl der künstlerischen Mittel und erzählerischen Techniken ebenso viele Möglichkeiten hat wie der Autor eines Romans. Dazu gehört das offene Ende, aber auch der Genremix, die Rahmen- und Episodenerzählung, das gesamte Spektrum von Erzählperspektiven (von der Figurenperspektive bis zum allwissenden Autor und sämtliche Mischformen), die Technik des Bewusstseinsstroms und die Variation über ein Grundthema; und wie sich mancher Romanautor über den Prozess des Schreibens seinem Leser mitteilt, kann auch der Filmregisseur das Erzählen selbst auf einer übergeordneten Ebene zum Thema erheben.
„Open End“ ist die vierte Präsentation von Werken aus der Sammlung Goetz im Haus der Kunst. Die Ausstellung wird von Ingvild Goetz kuratiert.
Mit
Emmanuelle Antille, Radiant Spirits, 2000
Pierre Coulibeuf, The Warriors of Beauty, 2002/06
Sue de Beer, The Quickening, 2006
Sebastian Diaz Morales, The Man with the Bag, 2004
Stan Douglas, Journey Into Fear, 2001
Dominique Gonzalez-Foerster & Tristan Bera, Belle Comme le Jour, 2012
Teresa Hubbard / Alexander Birchler, House with Pool, 2004
Isaac Julien, Paradise Omeros, 2002
Ross Lipman, The Interview, 2004
Laurent Montaron, Balbvtio, 2009
Saskia Olde Wolbers, Day-Glo, 1999
Clement Page, Hold your breath, 2010
Ann-Sofi Sidén, QM, I Think I Call Her QM, 1997
Yang Fudong, Honey (mi), 2003
Pressekontakt: Elena Heitsch und Jacqueline Falk

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