15.2.-26.5.13: Apartheid H.d.Kunst

15.2.-26.5.13: Apartheid H.d.Kunst

Rise-and-Fall_EW_Mandela15.02.-26.05.13 Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens. Haus der Kunst
Als bislang umfassendste Ausstellung über dieses Thema zeigt „Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens“ auf vielschichtige, aufrüttelnde und dramatische Weise das Erbe der Apartheid in Südafrika in dokumentarischen Bildern. Diese Bilder reagierten auf die Methoden und Prozesse des Apartheid-Regimes von seinen Anfängen 1948 bis zu den ersten demokratischen, nicht von der Hautfarbe bestimmten Wahlen 1994, die das Ende der Apartheid markierten. Mit mehr als 600 dokumentarischen Fotografien, Kunstwerken, Filmen, Nachrichtenbildern, Büchern, Zeitschriften und Archivmaterialien nimmt die Ausstellung über 2000 Quadratmeter im Ostflügel des Haus der Kunst ein. Den Auftakt bilden zwei Filmausschnitte, die in der Eingangsgalerie einander gegenübergestellt sind: Die Feier zum Wahlsieg der Afrikaner National Party 1948 und die Rede von Präsident F.W. de Klerk, der im Februar 1990 die Haftentlassung von Nelson Mandela verkündet. Die Ausstellung untersucht auf fesselnde Weise eine der streitbarsten Epochen des 20. Jahrhunderts. (Bild: Eli Weinberg. Porträt von Nelson Mandela mit traditionellen Perlenketten und einem Betttuch. Er versteckte sich vor der Polizei während seiner Zeit als „Black Pimpernel“, 1961/ Nelson Mandela portrait wearing traditional beads and a bed spread. Hiding out from the police during his period as the “black pimpernel,” 1961 Courtesy of IDAFSA)
Beleuchtet werden die verschiedenen Strategien von Fotografen und Künstlern: von der Sozialdokumentation bis zur Reportage, vom Fotoessay bis zu künstlerischen Anverwandlungen von Presse- und Archivmaterial. Durch diese vielfältigen Bilder wird die visuelle Denkweise von Fotografen und Künstlern erkundet und den Fragen nachgegangen, die diese Bilder stellen: Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Bürgerrechten und dem Widerstand gegen die Apartheid. „Aufstieg und Fall der Apartheid“ versammelt viele ikonische Fotografien, die bislang selten öffentlich gezeigt worden sind, und bietet einen neuen historischen Überblick über die Reaktionen von Fotografen und Künstlern auf die Apartheid.
Die Ausstellung argumentiert, dass sich durch die Machtübernahme der Afrikaner National Party 1948 und die Einführung der Apartheid als Rechtsgrundlage jeglichen Regierungshandelns die visuelle Wahrnehmung Südafrikas verschoben hatte: von einem „relativ harmlosen kolonialen Gebiet mit Rassentrennung zu einem heiß umkämpften Gebiet, in dem die große Mehrheit der Bevölkerung um Gleichheit, demokratische Vertretung and Bürgerrechte kämpfte“ (Okwui Enwezor). Unmittelbar mit der Einführung der Apartheid wurden Fotografen in Südafrika auf die Veränderungen aufmerksam, die sich in Politik und Gesellschaft ereigneten, und entsprechend wandelte sich die visuelle Sprache der Fotografie: Sie diente immer weniger als anthropologisches und zunehmend als politisches Werkzeug. Niemand dokumentierte den Kampf gegen die Apartheid besser, kritischer und prägnanter als südafrikanische Fotografinnen und Fotografen. Deshalb zeigt die Ausstellung – mit Ausnahme einiger wichtiger westlicher Fotografen wie Ian Berry, Dan Weiner, Margaret Bourke-White, Hans Haacke und Adrian Piper – fast ausschließlich Arbeiten südafrikanischer Künstlerinnen und Künstler.
Ihre Bilder verwehren sich gegen den schlichten Gegensatz von Opfer und Täter. Vielmehr zeigen sie eine fortschreitende Dynamik von Unterdrückung und Widerstand. Die Ansätze reichen von der „engagierten“ Fotografie der Fotoessays über die „Struggle Photography“ – sozialdokumentarische Arbeiten, die mit politischem Aktivismus Hand in Hand gingen -, bis hin zu Fotoreportagen; die Fotografen zeigten die Bürgerinnen und Bürger Südafrikas dabei nicht nur als Opfer, sondern in ihrem Engagement für die eigene Emanzipation. Die Ausstellung umfasst Arbeiten von Leon Levson, Eli Weinberg, David Goldblatt und von Mitarbeitern der Zeitschrift „Drum“ in den 1950er-Jahren wie Peter Magubane, Jürgen Schadeberg, Alf Kumalo, Bob Gosani und G.R. Naidoo. Ebenfalls vertreten ist die investigative Straßenfotografie von Ernest Cole und George Hallett aus den 1960er-Jahren, Reportagebilder von Sam Nzima und Noel Watson, Protestbilder der „Black Consciousness“-Bewegung und der Studentendemonstrationen der 1970er-Jahre sowie Arbeiten aus dem Afrapix-Kollektiv der 1980er- und Reportagen der Mitglieder des sogenannten Bang Bang Clubs aus den 1990er-Jahren. Arbeiten einer jüngeren Generation südafrikanischer Fotografen wie Sabelo Mlangeni und Thabiso Sekgale sowie Bilder des „Center for Historical Reenactments“, dessen Projekte die bis heute spürbaren Spätfolgen der Apartheid auf oft subtile Weise neu bewerten, runden die Ausstellung ab.
Die südafrikanischen Fotografinnen und Fotografen vertraten klar eine politische Überzeugung: Sie wehrten sich gegen das Apartheid-Regime und setzten die Fotografie als Waffe des Widerstands ein. So verstand sich die unabhängige Fotoagentur Afrapix, die 1982 von Omar Badsha und Paul Weinberg gegründet worden war, als Gruppe „kultureller Arbeiter“. Die Mitglieder von Afrapix vertraten den Standpunkt, dass die politische Überzeugung an erster Stelle kommen müsse und dass die Fotografie – ebenso wie Literatur und Theater – Teil der Anti-Apartheid-Bewegung sei. Diese Einstellung wurde von Fotografen wie Peter McKenzie geteilt, der bei einer Kulturkonferenz des ANC (African National Congress) in Gabarone, Botswana 1982 argumentierte, dass die Arbeit von Kulturschaffenden notwendigerweise Teil des Kampfes gegen die Apartheid sein müsse. McKenzies Aussage stand dabei in scharfem Gegensatz zu David Goldblatts Meinung, dass Fotografen mit dem größtmöglichen inneren Abstand Ereignisse dokumentieren sollten.
Am anderen Ende des Spektrums steht die sogenannte „Struggle“- oder „Frontline“-Fotografie. Sie zeichnet sich durch ihre Unmittelbarkeit aus und erweckt den Eindruck, man befinde sich mitten im Geschehen. Das Motto von Peter Magubane, der diese Bewegung mitbegründet hat, lautete: „Wenn du ein Bild willst, bekommst du es auch – und zwar unter allen Umständen.“
Die Fotografien bilden verschiedene historische Ereignisse ab. Dazu zählen der „Treason Trial“ von 1956-61, der mit dem Freispruch von 156 Anti-Apartheid-Kämpfern, darunter auch Nelson Mandela, endete; das Sharpeville-Massaker von 1960, bei dem die Polizei 69 Demonstranten erschoss; die Freilassung von Mandela nach 27 Jahren Haft; und der Bürgerkrieg zwischen gegnerischen politischen Gruppen im Zuge der Wahlen von 1994. Dabei erzählt die Ausstellung jedoch nicht die Geschichte der Apartheid selbst. Sie befragt vielmehr kritisch die normativen Symbole und Zeichen der fotografischen und visuellen Reaktionen auf die Apartheid. So gehörten zur Bildwelt der Apartheid auch ritualisierte Gesten. Die „Daumen hoch“-Geste als Zeichen der Solidarität unter den Aktivisten entstand in der gewaltlosen Anfangszeit der Bewegung, als man zivilen Ungehorsam und Streiks noch für wirksame Mittel hielt. Nach dem Sharpeville-Massaker von 1960 wurde der Widerstand militant. Den erhobenen Daumen löste die geballte Faust ab, weltweit das Symbol von Black Power. Seit der Bestattung der Opfer des Sharpeville-Massakers verliehen schwarze Südafrikaner ihrem Gefühl von Gemeinschaft und Identität oft bei Begräbnissen Ausdruck. Ihre öffentliche Trauer wurde zu einer ritualisierten Form der Mobilisierung der Massen und des gesellschaftlichen Ungehorsams.
Die zerstörerischen Auswirkungen der Apartheid auf das alltägliche Leben reichten vom Gewöhnlichen, ja Banalen, bis zu bürokratischer und institutioneller Reglementierung. Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl öffentlicher Beschilderungen, die Weißen, Afrikanern und anderen Nicht-Europäern die Segregation befahl. Ernest Cole etwa dokumentierte ausführlich die Schilder in Bahnhöfen, Banken, Bussen, an Taxiständen und auf den Straßen von Johannesburg und Pretoria in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre. Ein anderes exemplarisches Bild hat Peter Magubane 1956 aufgenommen. Es zeigt eindrucksvoll die Restriktionen der Apartheid im privaten und öffentlichen Raum: Ein weißes Mädchen sitzt auf einer Bank mit der Aufschrift „Europeans only“. Seine schwarze Nanny krault es im Nacken, doch sie muss dabei auf der Rückseite derselben Bank sitzen.
Der Alltag bestand indes nicht nur aus den Demütigungen staatlich verhängter Segregation. Die Zeitschrift „Drum“, eins der wichtigsten Medien des gesellschaftlichen Lebens in Südafrika, vereinte den ungeschönten Realismus der Reportage mit einer Fantasiewelt der Normalität, mit Selbstentwürfen nicht-europäischer Dandys und Schönheitsköniginnen und mit dem Überschwang des Lebens in den Townships. Auf den Seiten von „Drum“ gab es Bilder aus Entertainment und Freizeit, von kulturellen Ereignissen und Celebrities. Die Zeitschrift umfasste eine weite Spanne von Motiven – von erbarmungsloser Dokumentarfotografie bis zu Bildern von Mode, Tanzrevuen und Konzerten. „Drum“ erschloss der Fotografie ein politisch sensibles, aufmerksames Publikum und gab südafrikanischen Fotografen zum ersten Mal die Gelegenheit zum Gedankenaustausch mit Kollegen aus anderen afrikanischen Ländern, Indien und Europa.
Im Jahr 1990 konzentrierte sich das Interesse der internationalen Presse auf die bevorstehende Freilassung von Nelson Mandela. Die Fotografien aus Südafrika hatten den Boden dafür bereitet, dass die Weltöffentlichkeit an der Zukunft des Landes Anteil nahm. Die Ausstellung fragt vor diesem Hintergrund auch danach, ob Fotografie dazu beitragen kann, über das politische Gesicht der Welt zu informieren.
Die Ausstellung wird von Okwui Ewenzor und Rory Bester kuratiert. Sie entsteht in Zusammenarbeit von Haus der Kunst mit dem International Center of Photography in New York, wo sie vom 14.09.2012 – 6.01.2013 zu sehen war.
Der Katalog erscheint bei Prestel; mit Beiträgen von Rory Bester, Okwui Enwezor, Michael Godby, Khwezi Gule, Patricia Hayes, Achille Mbembe, Darren Newbury, Colin Richards und Andries Walter Oliphant; 544 Seiten, 59 €, ISBN 978-3-7913-5280-0.
Pressekontakt: 
Elena Heitsch und Jacqueline Falk, Stiftung Haus der Kunst München, gemeinnützige Betriebsgesellschaft mbH

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